30.04.2023© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April 2023, Seite 177

EDITORIAL: Unfallursache Ablenkung

Liebe Leserinnen und Leser,

 

eine halbe Stunde Verkehrsbeobachtung am Rand einer stark befahrenen innerörtlichen Straße bestätigt eindrucksvoll die zentrale Erkenntnis einer aktuellen Studie von Jörg Kubitzki, Sicherheitsforscher im Allianz-Zentrum für Technik: Ablenkung ist eine der häufigsten und vor allem die am meisten unterschätzte Unfallursache im Straßenverkehr. Kubitzki belegt, dass die immer zunehmende Nutzung moderner Kommunikations-, Unterhaltungs- und Komfortfunktionen im Fahrzeug das Unfallrisiko um rund 50 Prozent erhöht.

 

Dabei hat das bloße Telefonieren mit dem Handy während der Fahrt an Bedeutung verloren. Stark zugenommen haben aber Tätigkeiten wie das Schreiben von Textnachrichten, Spielen, Musik auswählen und im Internet surfen – vor allem bei den 18- bis 24-Jährigen. Auch die Fahrzeugindustrie trägt zu diesem Trend bei. Immer häufiger werden herkömmliche Schalter und Drehregler durch moderne Touchscreens ersetzt. Wer den Radiosender wechseln oder die Klimatisierung regeln will, muss sich heutzutage oft durch komplexe und verschachtelte Menüführungen kämpfen.

 

Aber immerhin bietet der „Handyparagraf“ 23a Abs.1a der StVO auch hierfür Sanktionsmöglichkeiten. Das musste ein Teslafahrer vor den Schranken des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 27.03.2020, Az. 1 Rb 36 Ss 832/19) erfahren. Der junge Mann war, als er mittels seines Touchscreens das Wischerintervall verändern wollte, von der Straße abgekommen und gegen einen Baum gefahren. Obwohl er zum Unfallzeitpunkt kein Gerät in der Hand gehabt hatte, wurde er nach längerem Rechtsstreit wegen eines Verstoßes gegen § 23 a Abs. 1a StVO in letzter Instanz zu 150 Euro Bußgeld, 2 Punkten im FAER und einem Monat Fahrverbot verurteilt. Das Gericht führte aus, dass eine „mehr als nur kurze Blickabwendung“ bei der Nutzung eines fest eingebauten elektronischen Geräts die Unfallursache gewesen sei.

 

Die Kids von heute sind schon perfekte Knöpflesdrücker, bevor sie richtig Mama sagen können. Als Heranwachsende sind sie cyberfasziniert, aber oft nicht cybererzogen. Hier müssen Fahrlehrer/-innen pädagogisch ansetzen. Eine nicht ganz leichte Aufgabe, aber lösbar. Nach der wieder und wieder gespielten Momentaufnahme des Schrecklichen, die oft viel kürzer ist als eine Sekunde, darf auch ein bisschen Angstmachen dabei sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher, Sie kriegen das hin.

 

In diesem Sinne grüße ich Sie sehr herzlich

Ihr

Jochen Klima

Foto: Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V.


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