30.08.2022© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe August 2022, Seite 492

DFA-Projekt Hochvolt-Fahrschule: "Die Themen sind bunt und dynamisch"

DFA-LOGO neu DFA kl Original

 

 

 

Mit dem batterieelektrisch angetriebenen Auto kommt auch auf die Fahrschulen eine Menge neuer Aufgaben zu. Daher hat die Deutsche Fahrlehrer-Akademie e.V. (DFA) unter ihrem Präsidenten Gerhard von Bressensdorf gemeinsam mit der Hochschule Ravensburg-Weingarten das Projekt „Hochvolt-Fahrschule“ ins Leben gerufen. FPX sprach mit dem dafür zuständigen Lehrstuhlinhaber Prof. Dr.-Ing. Benedikt Reick.

 

Interview

FPX:   Fahrzeuge mit traditionellen Verbrennungsmotoren und hochvolt-(hv-)angetriebene Fahrzeuge unterscheiden sich grundsätzlich. Was ist zu tun, damit Fahrlehrer angesichts dieses Paradigmenwechsels ihre Schüler künftig tipptopp unterrichten und für die Straße fit machen können?

 

Benedikt Reick:   Zunächst benötigt es neben technischem Verständnis Offenheit, und zwar von Lehrern und Schülern, sich mit neuer Technologie auseinanderzusetzen. Für die Fahrlehrer besteht die Herausforderung in einem mehr und mehr softwarebestimmten Fahren auch verstärkt elektrotechnische Inhalte zu vermitteln. Beispielsweise ist das Bremsverhalten des Fahrzeugs beim Rekuperieren nun durch Software gesteuert, während das Abbremsverhalten eines Verbrenners beim „Ausrollen“ durch Gangwahl erfolgt. So ist Strom unsichtbar, geruchlos und wird zunächst oft als „kompliziert“ und „langweilig“ empfunden.

 

Ein zentrales Unterscheidungskriterium von HV-Fahrzeugen zu traditionellen Verbrennern ist die Fahrcharakteristik. So sind HV-Fahrzeuge beispielsweise leiser, und die begrenzte Verfügbarkeit von Schnelllademöglichkeiten verlangt eine sorgfältige Planung. Was bedeuten diese Unterschiede für die Ausbildung in den Fahrschulen?

 

Auf der einen Seite sind Elektro- oder Hybridfahrzeuge bezogen auf ihre maximale Leistung besonders beim Anfahren deutlich performanter als konventionell angetriebene Fahrzeuge. Dies bringt teilweise Herausforderungen bei Ein- und Ausparkvorgängen, aber auch neue Gefahrenpotentiale für ungeübte Fahrer mit sich. Auf der anderen Seite kann, sofern etwas geübt, das Anfahrmoment sehr feinfühlig dosiert werden – dies liefert vor allem auf Schnee deutliche Vorzüge.

 

Das Laden von Elektrofahrzeugen ist bereits sehr viel einfacher und auch robuster geworden. Das zumindest ist mein subjektiver Erfahrungswert aus den vergangenen fünf Jahren. Allerdings funktioniert nicht immer alles sofort, denn Software- und Hardwareprobleme kommen vor und die Fehler sind meist für den Anwender nicht nachvollziehbar, denn manchmal startet ein Ladevorgang einfach nicht richtig. In der Regel hilft dann eine Notfalltelefonnummer auf der Ladesäule. Innerstädtisch gibt es mittlerweile hinreichend viele Typ-2-Ladesäulen mit 11 bis 22 kW Ladeleistung, sodass im Zweifelsfall eine andere Ladesäule angefahren werden kann. Auf der Langstrecke allerdings liegen die Ladepunkte oft etwas weiter auseinander und auch Schnellladen in der Stadt, wenn man einmal nur eine Stunde Zeit hat, ist noch lange nicht üblich. Diese Punkte sollten bekannt sein und klar kommuniziert werden.


Sowohl in Sachen Laden der Batterien, aber auch bei Reparaturen oder Notfällen sind zudem völlig neue Kenntnisse gefragt. Wie lautet hier das notwendige Know-how für den Nutzer konkret? Und: Wie kann der Fahrlehrer diese neuen Kenntnisse optimal vermitteln?

 

Es ist schwierig, das kurz zusammenzufassen. Generell kann man sagen: Die Batterien sind viel besser, als die oftmals eben konservativen Ingenieure erwartet haben und auch besser als ihr Ruf. Batteriebrände sind selten, haben oft eine Vorgeschichte, so beispielsweise, wenn ein zuvor geschehener Unfall nicht der Werkstatt gemeldet wurde. Wenn die Batterie zu Schaden kommt oder zu einem Brand führt, dann sind die Auswirkungen jedoch meist sehr groß. Allerdings ist das auch bei Verbrennern der Fall. Wer die Batterielebensdauer erhöhen will, sollte sich pauschal an Folgendes halten: langsam laden, gemäßigte Fahrweise, nur vollladen, wenn nötig, ansonsten nur 80 Prozent State of Charge (SOC), nie komplett leerfahren, also immer mehr als 15 Prozent Inhalt, das Fahrzeug im Winter nicht lange sehr vollgeladen und nahezu leer draußen stehen lassen. HV-Schulungen helfen, die Kenntnisse zu vertiefen – besonders für Arbeiten an HV-Systemen. Für Laien gilt: Hände weg vom gelben Blitz und damit vom HV-Symbol sowie von orangefarbenen Kabeln! Bei Fehlern im HV-System oder nach einem Unfall, vor allem beispielsweise nach Beschädigung am Fahrzeugboden, gilt: lieber einmal mehr in die Werkstatt!

 

Zahlreiche junge Menschen sind geprägt durch die Fridays-for-Future-Bewegung und damit den Trend weg von fossilen Energien. Sehen Sie vor diesem Hintergrund eine gegenüber der neuen E-Mobilität recht offen eingestellte Klientel für Fahrschulen und ihre Fahrlehrer?

Hier bin ich zwiegespalten. Es gibt diese Bewegungen – ja. Und es gibt auch junge Menschen, die das in regenerative Energiebranchen und auch die Elektromobilität treibt – ja. Auf der anderen Seite sehen wir an den Hochschulen, dass viele junge Menschen sich nicht mehr für Technik interessieren oder die Technik auch als Ursache oder zumindest Treiber der Klimaerwärmung ansehen. Auto fahren wird durch die Elektrifizierung einfacher, performanter und umweltfreundlicher – das sind bereits heute bestehende Fakten. Viele junge Menschen in Großstädten, besonders technologieverschlossene Personen, werden vielleicht keinen Führerschein machen, sodass man in der Stadt vermutlich tatsächlich mit einer offen eingestellten Klientel rechnen kann. Eine pauschale Antwort wird es nicht geben, weil das Thema „Mobilität“ stark polarisiert. Hier darf auch der Einfluss der Eltern nicht unterschätzt werden.
In der Übergangszeit kann man die Fahrschüler mit Verbrennern und dann mit E-Autos fahren lassen. Danach werden sich vermutlich 90 Prozent der Fahrschüler nicht mehr in den Verbrenner setzen wollen. Ein Daumenwert für Diskussionen zur Nachhaltigkeit: 1 Liter Kraftstoff = ca. 10 kWh verbrannte Energie, 10 kWh = ca. 50 km Reichweite bei einem Elektrofahrzeug. Faktisch sind damit fast alle Elektrofahrzeuge Zwei-Liter-Autos, wobei es natürlich auch sparsamere Elektrofahrzeuge gibt. Dennoch ist das nach wenigen Jahren Serienreife doch schon mal gar kein schlechter Wert.

 

Aufgrund der zahlreichen neuen Fragestellungen angesichts des Paradigmenwechsels beim Antrieb in Richtung E-Motor unterstützen Sie die DFA auf Grundlage von Forschungsergebnissen bei der Entwicklung eines curricularen Leitfadens für das Verhalten bei der Nutzung von batterieangetriebenen Fahrzeugen (BEVs). Wie kann man sich das vorstellen? Und welche sollten nach Ihrer Überzeugung die wesentlichen Inhalte eines Leitfadens für BEVs sein?

 

Das beginnt bei ganz alltäglichen Dingen: Beispielsweise stellen herumliegende Ladekabel auf dem Gehweg ein zuvor nicht vorhandenes neues Sicherheitsrisiko dar. Daneben benötigen Elektrofahrzeuge keinen Ölwechsel mehr. In der Wartung kann es also einfacher werden. Die mechanische Bremse mutiert dagegen zu einem Verbrauchs- und Verrostungsgegenstand, dem Elektroautofahrer hin und wieder aktiv durch stärkeres Bremsen entgegenwirken sollten. Falls dies im Winter oder auf der Autobahn gemacht wird, verstehen Sie sicher, dass auch hierdurch ein neuartiges seltsames und vielleicht gefährliches Benutzerverhalten entstehen kann. Falls man dies vergisst, so kann unter Umständen bei einer notwendigen Vollbremsung eine erhebliche Bremswegverlängerung resultieren. Außerdem: Der Hobbyschrauber befindet sich – vielleicht ohne es zu ahnen – in Lebensgefahr, wenn er in seinem Motorraum Arbeiten selbst durchführt, weil es nun zu „unsichtbaren“ elektrischen Gefährdungen kommen kann. Ein weiterer Punkt: Ähnlich zu Diesel und Benzin müssen Schüler nun den Unterschied zwischen Typ-2- und CCS-Laden kennen. Die Themen sind also bunt und dynamisch. Es gibt eine ganze Menge, die ein solcher Leitfaden beinhalten kann. Uns ist es wichtig, dass wir die Informationen im engen Austausch mit den Fahrschulen erstellen können. Denn nur so können wir unser Wissen wirklich zielgerichtet bündeln und weitergeben.

 

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Gehört die Zukunft nicht doch eher dem Wasserstoff bzw. der Brennstoffzelle statt dem batteriegetriebenen Fahrzeug?

 

Meine Antwort darauf ist schnell gegeben: Wasserstoff und dessen Nutzung in Brennstoffzellen hat in Fahrzeugen mit überschaubaren Leistungsanforderungen wie Roller, Pkw und leichten Lkw keine Zukunft.

 

Zum Schluss noch eine Frage in eigener Sache: Wie kam es zu Ihrer persönlichen Leidenschaft der wissenschaftlichen Erforschung von E-Technologie und Mobilität? Eher ein Muss oder der eigene Antrieb und damit die Neugierde hin zu einer emissionsfreien Mobilität?

 

Bereits als Grundschüler habe ich leidenschaftlich gern alternative Antriebssysteme und Fahrzeugcockpits auf Zettel gezeichnet. Zwar war meine kindliche Idee damals ein pneumatisch unterstütztes Fahrrad und kein elektrisches, dennoch kann man daher schon von einer frühen Technik- und Fahrzeugaffinität sprechen. Im Laufe meines Ingenieurstudiums bin ich dann relativ zeitig mit einem spannenden Forschungsprojekt, nämlich einem Mercedes SLS E-cell, in Kontakt gekommen. Seither haben mich die batterieelektrischen Fahrzeuge nicht mehr losgelassen. Später kamen der Umweltschutz und auch das Interesse an Forschung und Lehre als weitere Aspekte während meiner Tätigkeit als Ingenieur bei der ZF Friedrichshafen AG hinzu. Die Arbeit als Professor seit 2018 an der Hochschule Ravensburg-Weingarten mitsamt der Institutsleitung am Institut für Elektromobilität ermöglicht es mir, alle Interessen ideal miteinander zu kombinieren. Es ist also eine Mischung aus Leidenschaft und innerem Antrieb.

 

Sehr geehrter Herr Reick, vielen Dank für das Gespräch.


Zur Person - Professor Dr.-Ing. Benedikt Reick

Prof. Reick, Jahrgang 1986, ist an der RWU Hochschule Ravensburg-Weingarten seit 2018 Professor für „Automotive Engineering/E-Mobility“ und seit 2019 Institutsleiter des Instituts für Elektromobilität. Seit 2021 ist er zudem Leiter des Steinbeis-Transferzentrums E-Mobility. Zuvor war er neun Jahre als Ingenieur bei der ZF Group tätig. Studiert und promoviert hat Reick am Karlsruher Institut für Technologie.

 

Für die Deutsche Fahrlehrer-Akademie e.V. (DFA) hat der E-Auto-Trend hohe Priorität - Gemeinsames Projekt mit der Hochschule Ravensburg-Weingarten gestartet

 

Das batterieelektrisch angetriebene Auto ist Fakt. Immer mehr Menschen interessieren sich für bzw. kaufen E-Autos. Daran hat zweifellos die von der Bundesregierung ausgelobte E-Prämie auch einen erheblichen Anteil. Vor dem Hintergrund des anhaltenden E-Fahrzeugtrends hat die Deutsche Fahrlehrer-Akademie e.V. unter ihrem Präsidenten Gerhard von Bressensdorf in Zusammenarbeit mit der Hochschule Ravensburg-Weingarten ein neues Projekt ins Leben gerufen. Der Titel des Projekts: „Hochvolt (HV)-Fahrschule”. Dabei geht es um die Erarbeitung von Lehr- und Lernmaterialien für Fahrschulen zum Umgang mit HV-Fahrzeugen. Das Projekt startete am 1. August 2022 und hat zunächst eine Laufzeit von einem Jahr. Die DFA setzt damit ihren Kurs fort, den Fahrschulen wertvolle didaktische Lehrmittel zur Verfügung zu stellen.

 

Titelfoto: © Volkswagen AG


Zum Inhalt der FahrSchulPraxis Ausgabe August 2022...


Empfehlungen: