25.04.2024© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April 2024, Seite 226

Deutsche Automobilindustrie: Status quo der Transformation

Geht es um die Zukunft der Automobilindustrie und die Transformation der Mobilitätsbranche, herrscht allgemeine Unsicherheit. In einem sind sich jedoch alle Akteure einig: Es besteht enormer Handlungsbedarf. Nachfolgend ein aktueller Statusbericht sowie ein Interview mit dem Mobilitätsforscher der Universität St. Gallen (HSG), Prof. Andreas Herrmann, geführt von FPX-Redakteurin Isabella Finsterwalder.
 

Deutschlands Automobilindustrie kämpft mit der Umstellung auf die E-Mobilität. So ist laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) von  der Politik keine selbstbestimmte und vorausschauende Handlungsfähigkeit oder gar eine Strategie und klares Zielbild zu erkennen. Überregulierung und Bürokratie lähmten Wachstum und Innovationskraft. Das führe zu einem zunehmenden Vertrauensverlust bei Industrie und Bevölkerung, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Entsprechend fehlt auch deutschen Autokäuferinnen und -käufern immer mehr der Glaube an die neue Antriebsart, um die Klimaneutralität voranzutreiben. Laut Müller braucht die Branche Zuversicht durch strategische Weitsicht. Es brauche jetzt endlich Reformen statt Regulierung und weniger Mikromanagement. 


Um konkret zu erfahren und zu verstehen, wie der aktuelle Stand der deutschen Automobilindustrie und ihrer Transformation tatsächlich ist, sprach FPX mit dem Direktor des Instituts für Mobilität der renommierten Universität Sankt Gallen, Prof. Andreas Herrmann.

 

FPX: Sie sind ein strikter Verfechter einer gesamthaften Mobilität unter einem Orchestrator. Wie hat man sich eine Transformation zu einer smarten Mobilität vorzustellen? 

 

Prof. Andreas Herrmann: Mit der veränderten Mobilität gehen zum einen die Veränderungen am Fahrzeug selbst mit einher. Dazu kommt Mikromobilität, wie autonome Shuttles, E-Räder, E-Scooter, ins Spiel. Es gibt eine Vielzahl von Verkehrsträgern, die in der Veränderung sind. Um jedoch Emissionen zu reduzieren oder auch Flächen zurückzugewinnen, gilt es, diese Verkehrsträger zu kombinieren. Daher auch die Notwendigkeit eines Orchestrators. Denn bislang agiert jeder Verkehrsträger separat. Indes wäre es wichtig, jeden Verkehrsträger dort einzusetzen, wo er all seine Vorteile ausspielen kann.


Sehen Sie die Transformation zu einer smarten Mobilität eher als Vision? Wie beurteilen Sie dabei den Standort Deutschland und seine Fortschritte im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?
 

Es gibt überall bereits Elemente einer Lösung: Beispielsweise in Kopenhagen mit dem Fokus auf Mikromobilität, in London mit der City-Maut und dem Rückbau von Parkplätzen, um den öffentlichen Verkehr zu stützen oder Autos zurückzufahren; oder auch Paris mit dem 15-Minuten-Konzept. Diese verschiedenen Konzepte an verschiedenen Orten sind jedoch nicht zusammengeführt. Insofern ist der Weg hin zu Smart Mobility zwar bereits beschritten, aber immer noch sehr zaghaft und isoliert.

 

Foto: studio v-zwoelf/Stock.Adobe
 

Von der Makroperspektive in den Mikrokosmos Pkw-Antriebe: Das Verbrenner-Aus ist für 2035 gesetzt. Aber ist dieses tatsächlich noch haltbar? Ist vor allem ein „starres“ Verbrenner-Aus noch haltbar?

 

Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass das Verbrennerverbot 2035 gekippt werden könnte – zwar nicht komplett, jedoch werden möglicherweise Übergangsfristen verlängert oder bzw. und wird sich Europa zur Technologieoffenheit bekennen, um letztlich mehr Handlungsoptionen zu erhalten. Ein Grund dafür ist sicher die zögerliche Nachfrage nach der E-Mobilität in Europa, die vor allem durch das Aussetzen der Subventionen massive Auswirkungen auf die Kaufentscheidung für E-Fahrzeuge hatte. 

 

So hat das Signal „Die Regierung fährt Subventionen zurück“ sicher auch Sorgen ausgelöst: Was passiert, wenn ich heute ein E-Fahrzeug kaufe, wird dann überhaupt die Ladeinfrastruktur ausgebaut? Wie sieht es aus mit dem Zweitmarkt, wenn ich das Auto einmal verkaufen will, gibt es überhaupt noch Nachfrage dafür? 


Ein weiterer rein psychologischer Grund betrifft die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu verändern. Es ist ja eigentlich verrückt: Die meisten Menschen fahren 30, 40, 50 Kilometer pro Tag, da würde ein E-Auto locker ausreichen, aber man hat immer irgendwie Angst, dass man
nicht genug Strom hat. Oder der Autofahrer scheut sich, 20 oder 30 Minuten fürs Laden auf-zuwenden. Die Herbeiführung dieser Verhaltensänderungen zählen zu den zentralen Hürden, weshalb wir nicht zügig ins E-Fahrzeug-Alter kommen. Schließlich gibt es die amerikanischen Wahlen: Wenn Trump gewinnt, wird es sicher Rückwärtsbewegungen ins Verbrennerzeitalter geben, allein weil er den Chinesen schaden und umgekehrt die heimische Wirtschaft und die Ölförderung wieder forcieren möchte. Schließlich wollen auch die deutschen Automobilhersteller die E-Mobilität nicht wirklich, da die Wertschöpfung hier deutlich geringer ist und der Wettbewerbsvorteil schrumpft. So müssen die Batterien importiert werden, und das sind immerhin 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung. 

 

Im Jahr 2026 steht die planmäßige Überprüfung der bisherigen Schritte und Ziele an. Was erwarten Sie hier?


Die Welt ist im Moment extrem volatil, man weiß nicht, was in zwei Jahren wirklich passiert. Aber aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass 2026 der harte Zeitpunkt 2035 gekippt wird und Übergangslösungen definiert werden.

 

Mit Blick auf eine bezahlbare, realistische Mobilität: Was bedeutet ein Verbrenner-Aus aus Ihrer Sicht für die Zukunft der individuellen Mobilität?

 

Verbrennungsmotoren blicken auf eine 140-jährige Geschichte gegenüber gerade einmal 6 bis 8 Jahre ernsthafte Entwicklung der E-Technik. In 10 Jahren könnte ich mir einen erheblichen Fortschritt in Sachen E-Technologie vorstellen. So sind massive Skaleneffekte denkbar, wodurch die Stückkosten massiv sinken werden.


Auch erwarte ich mir Durchbrüche bei der Festkörperbatterie, das heißt, es gibt im Prinzip nur noch einen Kunststoffkern, flüssige Elektrolyte fallen weg. Auch werden wir dann keine kritischen Rohstoffe mehr für die Herstellung der Batterien benötigen. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass E-Autos künftig ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis haben werden. Wir müssen den Dingen Zeit geben. 

 

Wird E-Mobilität die Mobilität der Zukunft
(Foto: avidor-studio/Stock.Adobe)
Sehen Sie die Skepsis der Deutschen in Bezug auf E-Mobilität eher als vorübergehendes Phänomen an? Ist zu erwarten, dass sich die Zurückhaltung mit günstigeren E-Autopreisen und einer besseren Ladeinfrastruktur ändert?

 

Ja, davon bin ich überzeugt. Allerdings benötigen wir jetzt einen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Selbst Tesla als Start-up hat die E-Mobilität geschafft. Wenn sich die deutschen Automobilhersteller zusammentun würden und das wirklich wollten – eventuell mit Unterstützung des Staates – dann wäre der Umstieg locker machbar. Aber jeder spürt, dass es keiner so wirklich will. Die FDP will es nicht wirklich, die Automobilhersteller nicht, die Kunden nicht – es ist keiner da, besonders niemand in Deutschland. 

 

Welche Rolle spielen alternative Antriebe und damit Technologieoffenheit aus Ihrer Sicht für eine klimafreundliche Mobilität?


In Deutschland kommt mir der Begriff der Technologieoffenheit wie ein Vorwand vor, um sich nicht verändern zu müssen. Fakt ist aber: Wir können nicht drei oder vier verschiedene Technologien parallel bewirtschaften. Wir können nicht ein komplettes Infrastruktursystem für klassische Verbrennungsmotoren haben, die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität und dann womöglich auch das Gleiche für Wasserstoff oder Biokraftstoffe. Es muss einen Konsens darüber geben, was wir forcieren wollen. Diesen Konsens gibt es jedoch nicht. Selbst die Automobilindustrie ist sich uneins. VW Chef Oliver Blume sagt, wir gehen Richtung E-Mobilität, Oliver Zipse von BMW will Technologieoffenheit. Wir gehen also völlig unterschiedliche Wege. 


Wie sind aus Ihrer Sicht die ambitionierten Klimaziele im Verkehr zu schaffen? Welche Voraussetzung müssen im Wesentlichen geschaffen werden? 

 

Mein Eindruck ist: Über Klimaziele redet inzwischen keiner mehr. Das hat verschiedene Gründe: So werden wir zum einen von weltpolitischen Ereignissen überrollt, zum anderen merken wir, dass wir mit der Hinwendung zur E-Mobilität, von der wir uns positive Klimaziele erhofft haben, China enorm stärken, während wir in die Defensive kommen und damit letztlich auch Arbeitsplätze gefährden. 

 

Wie wird sich der Stellenwert des Autos im Rahmen der Transformation verändern?

 

Den größten Gamechanger (Neuerung, Red.)  sehe ich in einer Sharing Economy – hier könnten wir die Auslastung eines Fahrzeugs von 1,3 auf 2 Personen erhöhen und bräuchten deutlich weniger Fahrzeuge und Verkehrsinfrastruktur – verbunden mit der Idee, dass wir Mobilität als Service sehen anstatt als Besitz. Das wäre der ganz große Hebel, aber davon sind wir weit entfernt, denn jeder will sein eigenes Auto, keiner will teilen. 

 

Wie geht es also weiter?

 

Wir sind in einer Zeit, in der wir spüren, dass sich die alte Welt verändert. Aber es ist uns noch nicht ganz klar, wie die neue Welt aussieht. Das ganze Thema Mobilität ist somit eingebettet in eine extreme Unsicherheit. Das führt auch dazu, dass uns der Mut fehlt, große Schritte zu machen. Wir machen Trippelschritte, fahren auf Sicht und die große Euphorie, die wir vor 6 oder 7 Jahren noch hatten, als wir über autonomes Fahren oder den Umbau der Städte sprachen, ist vorbei. Damals war China noch lange nicht so stark als Automobilmacht wie jetzt, und auch der Ukraine-Krieg war bei uns nicht spürbar. Gegenwärtig sind wir angesichts der Volatilität in der Welt verzagt, denn wir wissen nicht, wo wir zuerst anpacken sollen.


Interview

Andreas Herrmann

Vita: Nach seiner Habilitation in Business Administration 1996 an der Universität Mannheim hatte Andreas Herrmann zunächst einen Lehrstuhl für Marketing an der Universität Mainz inne. Anschließend wechselte der heute 59-Jährige 2002 zur Universität St. Gallen (HSG). Dort leitete er das Institut für Media Management, das Center of Business Metrics sowie Customers Insights. Seit 2013 ist Herrmann Direktor der HSG Global School of Empirical Research Methods, nimmt seit 2019 eine Gastprofessur an der London School of Economics wahr, ist seit 2020 an der HSG Akademieprofessor des Executive Programs Smart Mobility Management und leitet seit 3 Jahren dort das Institut für Mobilität. 

 

(Foto: Andreas Herrmann privat)


Studie von Consors Finanz

Autokäufer sind verunsichert

Der Automarkt erlebt derzeit eine Phase tiefgreifender Veränderungen: steigende Preise, Elektrifizierung des Antriebs und starke Wettbewerber aus Asien. All das stellt nicht nur die traditionelle Autoindustrie vor enorme Herausforderungen, sondern auch die Verbraucherseite, die massiv verunsichert ist. Das ergab das aktuelle Automobilbarometer 2024 „Motorists are in a fog“ von Consors Finanz, eine eingetragene Marke der französischen Großbank BNP Paribas S.A., bei einer Befragung von 15.000 repräsentativ ausgewählten Verbrauchern in insgesamt 16 Ländern. 


Danach findet mehr als die Hälfte der befragten Deutschen eine Pkw-Kaufentscheidung schwierig oder sehr schwierig. Allerdings können sich nur die wenigsten eine Welt ohne Pkw vorstellen. So glauben 76 Prozent in Deutschland und 80 Prozent weltweit, dass das Auto künftig eine genauso starke oder sogar stärkere Rolle in der mobilen Gesellschaft spielen wird. Laut Studie ist es also zwingend erforderlich, hier Orientierung und Richtung zu geben.

 

Keine finanziellen Ressourcen
Die Gründe, warum Autofahrerinnen und Autofahrer beim Kauf zögern, sind vielfältig. Zunächst ist es der finanzielle Aspekt angesichts gestiegener Preise (36 Prozent in Deutschland und weltweit). Ganze 28 Prozent der befragten Deutschen (33 Prozent weltweit), die ein Auto frühestens in einem Jahr kaufen wollen, haben nicht die finanziellen Ressourcen. Weitere Fragezeichen kommen hinzu: So sind 21 Prozent der Deutschen (17 Prozent weltweit), die erst später ein Auto kaufen wollen, zögerlich, weil sie nicht wissen, welches Auto sie kaufen wollen. Weitere 15 Prozent in Deutschland bzw. 13 Prozent weltweit warten lieber ab, welche Regularien mit Blick auf eine grüne Mobilität eingeführt werden.


Gegenüber E-Autos skeptisch
Gerade hinsichtlich der Antriebswende bleiben vor allem deutsche Befragte skeptisch. So glauben 51 Prozent der Deutschen im Vergleich zu weltweit 46 Prozent nicht daran, dass das E-Auto das Verbrennerfahrzeug komplett ersetzen wird. Hinzu kommt, dass viele Deutsche Zweifel an dem Verkaufsverbot von Verbren- nern haben. Zwar sehen 56 Prozent der Deutschen (weltweit 63 Prozent) in einem Verbot eine notwendige Maßnahme. Doch glauben 68 Prozent hierzulande (weltweit 70 Prozent), dass der Zeitplan für die Umsetzung des Verbrennerverbots zu sportlich ist. Die E-Offensive chinesischer Autobauer bringt zudem den Entscheidungskompass der Verbraucher durcheinander. Zwar verbinden Käufer/-innen mit chinesischen Modellen durchaus Vorteile – vor allem mit Blick auf das gute Preis-Leistungs-Verhältnis. Dennoch schneiden diese Marken im Vergleich zu Modellen aus anderen Herkunftsländern immer noch schlechter ab. Während mit 90 Prozent der Löwenanteil der Deutschen, aber auch der weltweit Befragten, ein positives Bild von europäischen Marken hat, ist das nur bei 4 von 10 Deutschen bzw. knapp der Hälfte weltweit bei chinesischen Marken der Fall.

 

Ergebnisse der Studie

  • Mehr als die Hälfte der Deutschen hält derzeit eine Pkw-Kaufentscheidung für schwierig oder sehr schwierig.
  • Als Gründe werden genannt: finanzielle Aspekte, Entscheidungsschwierigkeiten bei Auto und Antrieb, Abwarten in Bezug auf neue Regularien. 
  • Mehr als die Hälfte der Deutschen glaubt nicht daran, dass das E-Auto den Verbrenner komplett ersetzen kann.
  • E-Offensive chinesischer Autobauer bringt Entscheidungskompass der Verbraucher ebenfalls durcheinander

 

Titelfoto: beny/Stock.Adobe


Zum Inhalt der FahrSchulPraxis Ausgabe April 2024...


Empfehlungen: