15.03.2024

(2604) Motorrad: Sturz oder Auffahrunfall?

Der Fall   Im März 2021 kam es auf einer Straße in Niedersachsen zum Sturz eines Motorradfahrers, als dieser aufgrund einer Vollbremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs selbst stark bremsen musste und dabei ins Rutschen kam. Das vorausfahrende Fahrzeug musste stark abbremsen, weil plötzlich ein entgegenkommender Mercedes auf seine Fahrbahn fuhr. Der Mercedes wollte einen Müllwagen überholen, der auf seiner Fahrbahn stand. Dabei achtete die Fahrerin des Mercedes nicht auf den Gegenverkehr, obwohl die Straße an der Stelle eine leichte Rechtskurve aufwies. Der Motorradfahrer klagte schließlich gegen die Halterin des Mercedes und deren Haftpflichtversicherung auf Zahlung von Schadenersatz.

Erste Instanz  Das Landgericht Verden wies die Schadenersatzklage ab. Seiner Auffassung nach habe der Kläger seinen Sturz allein verschuldet. Der Beklagten sei ein risikoreiches Überholen nicht vorzuwerfen. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Klägers.

Oberlandesgericht bejaht Schadenersatzanspruch  Das Oberlandesgericht Celle entschied zum Teil zu Gunsten des Klägers. Er könne 40 Prozent seines Schadens von der Beklagten verlangen. Die Beklagte habe gegen § 6 Abs.1 StVO verstoßen. Sie sei ohne vorsichtige Prüfung an der durch den haltenden Müllwagen geschaffenen Engstelle vorbeigefahren. Es habe nicht ausgereicht, langsam den Müllwagen zu überholen. Die Beklagte habe vielmehr den Gegenverkehr überprüfen müssen, bevor sie zur Überholung ansetzte. Jedoch, so das Gericht weiter, spreche ein Anscheinsbeweis auch für einen Verkehrsverstoß des Klägers. Auch wenn es nicht zu einer Kollision zwischen Motorrad und dem vorausfahrenden Fahrzeug kam, seien die Grundsätze des Anscheinsbeweises bei Auffahrunfällen anzuwenden. Gelingt es einem Verkehrsteilnehmer nicht, rechtzeitig auf eine wahrgenommene Gefahrenlage zu reagieren und lediglich durch einen Sturz die Kollision mit dem Vorausfahrenden zu verhindern, spreche wie im Fall einer Auffahrkollision die Lebenserfahrung dafür, dass die Ursache für den Sturz das eigene Fehlverhalten infolge zu geringen Abstands oder Unaufmerksamkeit ist.

Eine überwiegende Haftung der Mercedesfahrerin komme nicht in Betracht. Denn der Kläger trage einen deutlich höheren Verantwortungsanteil als die Beklagte. Erst sein sorgfaltswidriges Verhalten habe zum Sturz geführt. Dabei sei zu beachten, dass der Vorausfahrende noch rechtzeitig habe bremsen können, ohne dass es zu einer Kollision mit dem Mercedes kam.

Oberlandesgericht Celle
– Entscheidung vom 13.12.2023 –
Az. 14 U 32/23