15.03.2022

(2532) Mangelnde Rückschaupflicht beim Abbiegen

Der Fall   An einem Morgen kam es auf einer Kreisstraße in Bayern zu einem berührungslosen Unfall. Ein Traktorfahrer wollte mit seinem Fahrzeug nach links in einen Feldweg einbiegen. In diesem Moment wurde er von einem anderen Fahrzeug überholt. Der Fahrer des Fahrzeugs war vom plötzlichen Abbiegevorgang des Traktorfahrers so überrascht, dass er ein Ausweichmanöver unternahm und dabei mit seinem Fahrzeug gegen einen Baum fuhr. Er klagte aufgrund dessen gegen den Traktorfahrer und dessen Haftpflichtversicherung auf Zahlung von Schadenersatz. Das Landgericht München I wies die Klage ab. Dagegen richtete sich die Berufung des Klägers.

Das Urteil   Das Oberlandesgericht München entschied zu Gunsten des Klägers. Ihm stehe wegen Verletzung der Rückschaupflicht des Traktorfahrers ein Anspruch auf Schadenersatz zu. Der Traktorfahrer hafte für die Unfallfolgen vollumfänglich. Das Sachverständigengutachten habe ergeben, dass der Beklagte gegen seine beim Abbiegen gemäß § 9 Absatz 1 StVO zu beachtenden Pflichten verstoßen habe. Nach Angaben des Sachverständigen hätte der Beklagte das Klägerfahrzeug sehen müssen, wenn er seiner Rückschaupflicht nachgekommen wäre. In diesem Fall hätte der Beklagte von seinem Abbiegevorgang Abstand nehmen müssen, sodass es nicht zu dem Ausweichmanöver des Klägers gekommen wäre.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sei der Pflichtverstoß des Beklagten als so schwerwiegend einzustufen, dass ausnahmsweise die bei einem Überholmanöver in der Regel zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs vollständig hinter dem Verschulden des Beklagten zurücktrete. Ein Mitverschulden sei dem Kläger nicht anzulasten, da für ihn nicht erkennbar gewesen sei, dass der Beklagte nach links abbiegen wollte.

Oberlandesgericht München
- Urteil vom 06.10.2021 -
Az. 10 U 1012/19