15.07.2025

(2651) Haftungsverteilung bei Auffahrunfall nach Fahrstreifenwechsel

Der Fall   Der Fahrer eines bei der Klägerin versicherten Ford Ranger befuhr im Sommer 2021 zunächst den linken von drei Fahrstreifen der BAB 45. Aufgrund einer Baustelle verengte sich die Fahrbahn auf zwei Fahrstreifen. Der Fahrer begann, auf den mittleren Streifen zu wechseln. Wegen des dortigen Verkehrsaufkommens fuhr er, nachdem er ca. zur Hälfte auf dem mittleren Fahrstreifen angelangt war, ebenso wie das vorausfahrende Fahrzeug wieder auf die linke Spur. Auf der linken Spur bremste das vorausfahrende Fahrzeug bis zum Stillstand ab. Der Fahrer des Ford bremste ebenfalls für maximal eine Sekunde bis zum Stillstand ab. Der hinter dem Ford auf der linken Spur befindliche Beklagte kollidierte mit dem klägerischen Fahrzeug. Der Schaden am klägerischen Fahrzeug beläuft sich auf knapp 60.000 €.

Urteil 1. Instanz   Das Landgericht hatte der Klage auf Basis einer Haftung von 80 % stattgegeben Die hiergegen beim OLG eingelegte Berufung führte zu einer anderen Haftungsquote des Beklagten.

Urteil 2. Instanz   Das erhöhte die Haftungsquote auf 50 %. Begründung: Der grundsätzlich gegen den Auffahrenden geltende Anscheinsbeweis greife vorliegend nicht ein, stellte der zuständige 9. Zivilsenat fest. Sowohl die unklare Verkehrslage als auch der atypische Geschehensablauf stünden dem Anscheinsbeweis entgegen. Zudem spreche gegen den Anscheinsbeweis, dass der Fahrer des Ford im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Unfall einen bereits zur Hälfte vollzogenen Fahrstreifenwechsel unvermittelt abgebrochen habe. Er habe selbst bekundet, das Beklagtenfahrzeug auf der linken Spur nicht gesehen zu haben. Dies spreche dagegen, dass er sich vor dem von der Klägerin als „Schlenker“ bezeichneten Manöver durch Rückschau über den rückwärtigen Verkehr auf der linken Spur versichert habe. Weder vorgetragen noch ersichtlich sei zudem, dass der Fahrer des Ford vor dem Einscheren auf die linke Spur geblinkt und so für den nachfolgenden Verkehr den Abbruch des zunächst begonnenen Fahrstreifenwechsels angezeigt habe. „Der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit dem gescheiterten Fahrspurwechsel liegt ersichtlich noch vor und wurde durch den kurzzeitigen Stillstand des Fahrzeugs von einer halben bis maximal einer Sekunde nicht aufgehoben“, führte der Senat weiter aus. Gegen ein alleiniges Verschulden des Ford-Fahrers spreche allerdings die vom Landgericht zutreffend angenommene unklare Verkehrslage im Hinblick auf das Enden der vom Beklagten benutzten Fahrspur sowie des starken Verkehrsaufkommens, bei dem auch „mit dem abrupten Abbremsen vorausfahrender oder die Spur wechselnder Fahrzeuge jederzeit zu rechnen“ gewesen sei, erläuterte der Senat die vorgenommene Haftungsverteilung von 50 % zu 50 %. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision begehrt werden.

Quellen: Oberlandesgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 29.04.2025;

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