Vision Zero: Nie mehr auf Kollisionskurs (1)
Ziel von Vision Zero ist es: keine Getöteten und Schwerverletzten mehr im Straßenverkehr. Als Fahrlehrer/-innen ist es nach der FahrschAusbO unsere Aufgabe, Bewerber um die Fahrerlaubnis auf die Prüfungen vorzubereiten und sie dabei zu begleiten. Unser Job ist es aber in erster Linie, möglichst gut auszubilden, damit unsere Fahrschüler/-innen Verantwortung für Leben und Gesundheit übernehmen.
In diesem Beitrag möchte ich die selbstverschuldeten Alleinunfälle von Motorradfahrern nicht näher betrachten. Selbstverständlich müssen diese während der Führerscheinausbildung in der Fahrschule beleuchtet werden.
Jetzt möchte ich nur die neuesten Fakten zu Kollisionen zwischen Pkw und Motorrad betrachten, die wir in die Ausbildung und auch in die Prüfung einfließen lassen müssen.
Nie mehr auf Kollisionskurs!
Zukunftsvision: Vernetzung verhindert Kollisionen (Quelle: Zeitschrift „Motorrad“ Nr. 23 vom 27.10.2023, Seite 108–111).
Fakten zum Motorradunfall
- Die Unfallforschung unterscheidet bei motorisierten Zweirädern zwischen „Fahrunfällen“ nach Kontrollverlust des Motorradfahrers (Alleinunfälle, Stürze) und „Kollisionsunfällen“, an denen unfallursächlich mindestens ein anderes Fahrzeug beteiligt ist.
- Etwa 75% aller tödlichen Unfälle (Fahrunfälle und Kollisionsunfälle) wurden laut Innenministerium Baden-Württemberg von Motorradfahrern selbst verursacht.
- Etwa 1/3 aller Motorradunfälle sind Fahrunfälle. Nicht angepasste Geschwindigkeit des Motorradfahrers ist die häufigste Unfallursache.
- Etwa 2/3 aller Motorradunfälle sind Kollisionsunfälle.
- Etwa 2/3 aller Kollisionsunfälle zwischen Pkw und Motorrad mit Personenschaden oder tödlichem Ausgang verursachen Autofahrer, innerorts wie außerorts.
- Die meisten Kollisionen finden an Kreuzungen und Einmündungen statt.
Diese Angaben beruhen auf Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes.
Modernste Technik soll helfen, Kollisionen zu verhindern
Untereinander vernetzte Fahrzeuge können sich gegenseitig erkennen. Volkswagen stattete ab Golf 8 und ID.3 bereits eine Million Fahrzeuge serienmäßig mit dieser Technik aus. Nun sollen Motorräder nachziehen. Das CMC (Connected Motorcycle Consortium), bestehend aus BMW, Honda, Yamaha, KTM, Ducati, Harley-Davidson, Suzuki und VW, präsentierte Ende 2023 den Stand der Technik. Was Techniker, Ingenieure und Forscher aus Europa und Japan zu sehen bekamen, wirkte von außen betrachtet unspektakulär: Autos und Motorräder näherten sich einer nachgebildeten, nicht einsehbaren Kreuzung. Das Auto bremst, obwohl die Situation unübersichtlich ist. Die Revolution findet im Auto und auf dem Motorrad statt. Im Auto nähert sich auf dem Bildschirm am Dashboard ein Motorrad. Zu sehen ist das Motorrad vom Pkw aus noch nicht. Dazu ertönt eine akustische Warnung (Warnton) oder gesprochen: „Motorcycle from the left“. Auch der Motorradfahrer bekommt die Info über ein nahendes Auto, sogar über geparkte Autos mit geöffneten Türen, zusätzlich aber auch Informationen über Straßenzustand, Stau usw. Beide Fahrzeuge sind also Sender und Empfänger. Diese Kommunikation nennt sich „V2V“: vehicle to vehicle. Richtig und rechtzeitig reagieren müssen die Auto- und Motorradfahrer allerdings selbst.
V2V - vehicle to vehicle (Quelle: scharfsinn_86-Adobe_Stock)
Da systemgesteuerte Bremseingriffe bei einem fahrenden Motorrad problematisch sind, wird dies wohl unterbleiben. Im Gegensatz dazu gibt
es jetzt schon in Serie bei BMW den aktiven Bremseingriff beim Auto. Aktuelle BMW-Pkw reagieren seit 2021 mittels Radar- und Kamera-Sensorik auch auf Motorräder. Es handelt sich um das sog. ADAS (Advanced Driver Assistance System). Es reagiert sehr spät. Der aufmerksame Autofahrer hätte schon längst auf die Bremse getreten. Tesla hat das nicht im Griff: Es gab bereits mehrere Unfälle, weil Motorräder übersehen wurden. Bei BMW scheint das System zu funktionieren.
Warnung für Motorradfahrer
Wie erwähnt: Aktive systemgesteuerte Bremseingriffe sind bei Motorrädern problematisch: Abgelenkte oder unerfahrene Fahrer könnten erschrecken, im Extremfall sogar stürzen.
Für Warnungen an die Motorradfahrer stellte das Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften (WIVW) folgende Lösungen vor:
- visuell im Cockpit oder im Head-up-Display des Helmes oder durch aufleuchtende LEDs in den Spiegeln,
- akustisch per Headset/Bluetooth,
- haptisch über vibrierende Griffe.
Durch die Vernetzung können sich nähernde Fahrzeuge früher erkennen, als sie von Kameras oder Radar erfasst werden. VW gibt Reichweiten von 1.000 bis 1.200 Metern an (agO),
innerorts soll sie immer noch 400 bis 600 Meter betragen. So können sich Pkw untereinander erkennen, aber auch Einsatzfahrzeuge von Polizei, ADAC, österreichischem Roten Kreuz und andere, da diese zum Teil bereits mit der entsprechenden Technologie ausgerüstet sind.
Ein vernetztes Fahrzeug kann allerdings ein unvernetztes nicht erkennen. Mehr noch: Die Fahrzeuge müssen im selben System auf gleicher Frequenz senden. Die Fahrzeughersteller müssen sich auf einen bestimmten Standard einigen. Für die Vernetzung eines Motorrades ist eine Spezialausrüstung notwendig:
- extrem genaues GPS,
- Antennen,
- Peripherie (Onboard-Units ca. 10 x 8 cm), z.B. unter der Sitzbank,
- Rüttelfestigkeit.
Kosten: ca. 500 Euro.
Es wurde empfohlen, auch E-Fahrräder (z.B. Pedelecs) mit Onboard-Units nachzurüsten.
Übrigens: Die neue BMW R 1300 GS warnt durch ihre Radarsensoren des Abstandstempomaten träumende Fahrer vor drohenden Auffahrunfällen durch ein sanftes Bremsnicken („haptic brake support“).
Karl-Heinz Hiller
Titelfoto: BMW (R1300 GS)
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