(2457) Geschwindigkeitsverstoß landet vor Verfassungsgericht
Der Fall Kraftfahrer Julius Prudens (Name geändert, Red.) war wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h innerorts - in Friedrichsthal/Saarland - zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt worden. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte durch ein Gerät der Firma Jenoptik (Typ Traffistar S 350). Bei dem Gerät handelt es sich um ein durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zugelassenes Messgerät. Ob die Messungen mit dem Gerät Traffistar S 350 verwertbar sind, ist in der bußgeldrechtlichen Rechtsprechung höchst umstritten. Prudens erhob Einspruch gegen den Bußgeldbescheid mit der Begründung, bei dem Messgerät des Typs Traffistar S 350 sei die Möglichkeit ausgeschlossen, die Messung sachverständig überprüfen zu lassen, da das Gerät nicht alle Messdaten speichere.
Urteile Die mit dem Bußgeldverfahren befassten Gerichte - Amtsgericht Saarbrücken und Saarländisches Oberlandesgericht - kamen dem nicht nach und gingen bei ihren Entscheidungen davon aus, dass trotz der fehlenden Speicherung aller Messdaten der Geschwindigkeitsverstoß festgestellt werden könne und die Daten zur Grundlage der Verurteilung gemacht werden könnten, da bei einem von der PTB zugelassenen Messgerät die Gerichte grundsätzlich von der Richtigkeit der Messung ausgehen könnten (sog. standardisiertes Messverfahren).
Verfassungsbeschwerde Damit war Prudens nicht einverstanden. Er erhob Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, in der er u. a. eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren rügte, da ihm durch die fehlende Speicherung aller Messdaten die Möglichkeit genommen werde, Messfehler aufzuzeigen.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat zu der Frage, welche Daten des Messvorgangs erforderlich sind, um eine valide nachträgliche Überprüfung von Geschwindigkeitsmessungen zu ermöglichen, drei Sachverständige angehört. Sachverständig beraten gelangte der Verfassungsgerichtshof zu der Auffassung, dass die derzeit von dem Gerät Traffistar S 350 gespeicherten Daten keine zuverlässige nachträgliche Kontrolle des Messergebnisses erlauben, eine solche aber bei einer - ohne größeren Aufwand technisch möglichen - Speicherung der sog. Rohmessdaten möglich wäre.
Die Entscheidung Der Verfassungsgerichtshof entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen des AG und OLG die Grundrechte des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren und effektive Verteidigung verletzen. Der Verfassungsgerichtshof bezweifle nicht, dass die Geschwindigkeitsmessung durch das Gerät Traffistar S 350 ein standardisiertes Messverfahren darstelle. Die mit Traffistar S 350 gewonnenen Messergebnisse könnten daher durchaus zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden. Wenn sich ein Betroffener jedoch - wie vorliegend - gegen das Messergebnis wendet, müsse er nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs die Möglichkeit haben, die Validität der standardisierten Messung zu überprüfen. Das sei auch dann der Fall, wenn er zunächst keinen auf der Hand liegenden Einwand - etwa sich aus dem Lichtbild offenkundig ergebende Unklarheiten - vortragen könne. Denn zu einer wirksamen Verteidigung gehöre auch, nachforschen zu können, ob es bislang nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit des Vorwurfs gebe. Dies sei dem Beschwerdeführer aber mangels Speicherung der Rohmessdaten verwehrt. Da die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Gerät Traffistar S 350 wegen der verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf wirksame Verteidigung unverwertbar sind, hat der Verfassungsgerichtshof die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Entscheidung nur die saarländischen Gerichte im konkreten Fall bindet, er aber in gleich gelagerten Fällen abweichende Entscheidungen saarländischer Gerichte korrigieren werde.
Verfassungsgerichtshof des Saarlandes
- Urteil vom 05.07.2019 -
Az. Lv 7/17