Kolumne Gebhard L. Heiler - Streitfall: Vorbildung der Fahrlehreranwärter/-innen
Die Kulturhoheit der Bundesländer ist ein sorgsam gehütetes Kernstück des deutschen Föderalismus‘, die im Schulwesen u. a. zu unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern geführt hat. Schon der Eintritt der Schulpflicht variiert zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr, immer auch abhängig von den länderspezifischen Stichtagen. Auch für den Mittleren Bildungsabschluss konnten sich die Bundesländer nicht auf eine gemeinsame Bezeichnung einigen. Früher hieß der Abschluss überall Mittlere Reife, heute jedoch Mittlerer Schulabschluss, Sekundarabschluss, Realschulabschluss, Qualifizierter Sekundarabschluss I. Die Wege dahin sind unterschiedlich. Im Regelfall wird der Mittlere Bildungsabschluss nach 10 Schuljahren und einer erfolgreichen Abschlussprüfung erworben. In manchen Bundesländern erwirbt man mit Versetzungszeugnis für das 11. Schuljahr eines Gymnasiums automatisch den Mittleren Bildungsabschluss.
Das 2017 reformierte Fahrlehrergesetz trägt in § 2 Absatz 1 Nr. 5 den folgenschweren Mangel, keine schulische Vorbildung, sondern nur eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf als Voraussetzung für die Zulassung zur Fahrlehrerprüfung zu nennen.
Nur so konnte es zu dem kühnen Spruch des VGH Hessen vom 24.04.2023 kommen, der den Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 28. Mai 2021, eine Realschulabsolventin ohne abgeschlossene Berufsausbildung zum Fahrlehrerberuf zuzulassen, aufhob.
Mit der schwammigen Begründung, ein mittlerer Abschluss (Realschulabschluss) sei einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Vorbildung für den Fahrlehrerberuf nicht gleichwertig, weil es nicht allein auf einen Vergleich der schulischen Inhalte in allgemeinbildenden Fächern an einer Realschule und einer Berufsschule ankomme. Der VGH stellt mit seinem Beschluss den Bildungswert des Mittleren Schulabschlusses mit dem eines Abschlusses in jedwedem Ausbildungsberuf gleich. Das ist mit Blick auf die Bildungsfähigkeit erwachsener Menschen sehr gewagt.
Noch störender und weniger lebensnah wirken diese Sätze der Begründung: Im Fahrlehrerberuf habe die praktische Ausbildung neben dem theoretischen Unterricht eine besondere Bedeutung. Eine Berufsausbildung vermittle wertvolle Erfahrungen im Erwerb praktischer Fähigkeiten für die spätere Arbeit als Fahrlehrer. Diese Fähigkeiten und Erfahrungen könnten in der Schulausbildung zur Erlangung eines mittleren Abschlusses nicht in gleicher Weise erworben werden. Die Fahrlehrerausbildung dauere nur 12 Monate und sei damit als berufliche Weiterbildung ausgestaltet.
Mit dieser Begründung und der Herabstufung des Fahrlehrerberufs auf einen Anlernberuf scheint sich der VGH Hessen seiner Sache nicht ganz sicher gewesen zu sein. Warum sonst hätte er die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen?