30.04.2023© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April 2023, Seite 206

§ 9 Absatz 6 StVO: Schritttempo beim Rechtsabbiegen - Geänderte Auslegung

Nach § 9 Absatz 6 StVO müssen Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3.500 kg innerorts beim Abbiegen unter bestimmten Voraussetzungen mit Schrittgeschwindigkeit fahren.

 

Der Verordnungstext wurde in der Vergangenheit unterschiedlich ausgelegt. Das führte bei praktischen Fahrerlaubnisprüfungen gelegentlich zu Diskussionen. Nun hat das Bundesverkehrsministerium eine bundeseinheitliche Auslegung dieser Bestimmung bekannt gegeben.

 

Information des TÜV SÜD für Fahrschulen

Hierzu hat die TÜV SÜD Auto Service GmbH in ihrem Informationssystem OSF 2.0 folgende Information hinterlegt:

 

„Information für Fahrschulen zur Umsetzung von § 9 Absatz 6 StVO
Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit

 

Sehr geehrte Fahrlehrer/-innen,

 

im Rahmen zahlreicher Änderungen der StVO wurde auch das Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit nach § 9 Abs. 6 StVO mit der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften folgendermaßen neu definiert:

 

‚Wer ein Kraftfahrzeug mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t innerorts führt, muss beim Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn auf oder neben der Fahrbahn mit geradeausfahrendem Radverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist.´

 

Da der Gesetzestext mehrere Auslegungen zulässt, wurde in den Fachausschüssen zusammen mit dem Gesetzgeber folgende weitergehende Auslegung bundesweit abgestimmt:

 

‚Grundsätzlich muss innerorts beim Rechtsabbiegen mit geradeausfahrenden Radfahrern und querenden Fußgängern gerechnet werden. In der Regel muss deshalb mit Schrittgeschwindigkeit abgebogen werden. Nur wenn die baulichen Gegebenheiten und die gesamte Verkehrssituation ein Vorkommen von Radfahrern und Fußgängern ausschließen, kann davon abgewichen werden.‘

 

Diese Vorgaben sind nach Absprache mit dem Gesetzgeber ab dem 01.04.2023 anzuwenden.“

 

Wie wichtig ist diese Regelung?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Erklärung macht deutlich: Führer von Lkw, Bussen, großen Wohnmobilen und vielen Zugmaschinen dürfen innerorts – ganz wenige Situationen ausgenommen – nur noch mit Schrittgeschwindigkeit rechts abbiegen. Diese Regelung gilt für alle, nicht etwa nur für Fahrschüler und Führerscheinprüflinge.

 

Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass die vom TÜV übermittelte Auslegung in der Fahrlehrerschaft teilweise kontrovers kommentiert wird. Da ist oftmals von Gängelei, von unnötiger Verkehrsbehinderung und von massivem Hupen und Schimpfen anderer Verkehrsteilnehmer die Rede. Das mag mitunter so sein. Aber ein Blick in die aktuelle Unfallstatistik zeigt: Die Anzahl verunglückter Radfahrender nimmt von Jahr zu Jahr zu. Diese Zahlen verpflichten den Verordnungsgeber, rechtliche Maßnahmen zu ergreifen, um die schwächeren Verkehrsteilnehmer, und das sind zu Fuß Gehende und Radfahrende nun einmal, nach Kräften zu schützen. Der sog. Totwinkel-Unfall ist keine exotische Seltenheit, sondern immer wieder tödliche Wirklichkeit.

 

Vision Zero als Leitgedanke der StVO

Letztlich spiegelt die Regelung eine weitere konsequente Verankerung von „Vision Zero” in der StVO wider. Das bedeutet, dass alle rechtlichen und baulichen Maßnahmen im Straßenverkehr bei Planung und Durchführung daran auszurichten sind, Tod und Verletzung entgegenzuwirken. Und dazu gehört eben auch der Schutz der Radfahrenden an Kreuzungen und Einmündungen.

Jochen Klima


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