30.08.2023Fahreignung und Gutachten bei Menschen mit Handicap: Gesprächstermin im Verkehrsministerium - 2023-08-452-Q-primipil-Stock.Adobe.jpg© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe August 2023, Seite 453

Fahreignung und Gutachten bei Menschen mit Handicap: Gesprächstermin im Verkehrsministerium

Für 17. Juli 2023 hatte das Verkehrsministerium Baden-Württemberg unter Leitung des zuständigen Referatsleiters Sebastian Kaufmann zu einem Gespräch eingeladen. Dabei ging es um die Fahrerlaubnisprüfung von Menschen mit Behinderung. Neben Mitarbeitenden des Ministeriums nahmen Vertreter der Regierungspräsidien, des Sozialministeriums (Behindertenbeauftragter), des TÜV SÜD, von Verbänden, der Behindertenreferent des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V., Bernd Zawatzky, sowie der in der Behindertenausbildung engagierte Kollege Uwe Thiele teil.

 

Auslöser der Zusammenkunft war die bei der Generalversammlung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V. am 22. April 2023 in Pforzheim geführte Diskussion zum Thema Eignungszweifel bei Führerscheininhabern und der Umgang damit. Der TÜV hatte angekündigt, seine bisherige Praxis zu ändern und Gutachten zu notwendigen Zusatzeinrichtungen nur noch nach behördlicher Beauftragung durchzuführen. Das hatte bei den Mitgliedern große Verwunderung und Widerspruch ausgelöst. Noch während der Mitgliederversammlung konnte der TÜV davon überzeugt werden, seine Gutachten auch weiterhin ohne Information der Fahrerlaubnisbehörden durchzuführen. Eine Klarstellung sollte durch das Verkehrsministerium herbeigeführt werden.

 

Ausgangslage

Werden der Fahrerlaubnisbehörde Tatsachen bekannt, die Zweifel an der körperlichen Eignung eines Fahrerlaubnisbewerbers oder eines Inhabers einer Fahrerlaubnis begründen, muss die Behörde tätig werden. In der Regel wird die Behörde nicht aus eigener Fachkompetenz eine Entscheidung treffen können. Daher wird sie zur Vorbereitung ihrer Entscheidung anordnen, dass der Betroffene ein ärztliches Gutachten über seine Eignung bzw. über die erforderlichen Maßnahmen zu Herstellung seiner Eignung beibringen muss (§ 11 Absatz 2 FeV). Als Gutachter kommen Ärzte aus Gesundheitsämtern oder der öffentlichen Verwaltung, Arbeitsmediziner oder Betriebsmediziner, Fachärzte für Rechtsmedizin oder Ärzte aus einer Begutachtungsstelle für Fahreignung in Betracht; das Nähere bestimmt die Fahrerlaubnisbehörde.

 

Technisches Gutachten

Auch kann die Führerscheinstelle das Gutachten einer Technischen Prüfstelle (meist TÜV oder DEKRA) fordern. Dabei werden Umbauten bzw. Zusatzgeräte für das Kraftfahrzeug festgelegt, die zur Abhilfe der Behinderung erforderlich sind. Auch eine Fahrprobe mit Prüfer kann gefordert werden. Nach dieser Fahrprobe werden die notwendigen Auflagen bzw. Beschränkungen in den Führerschein eingetragen. Insoweit waren sich die Gesprächspartner einig.

 

Doch wie ist mit Fahrerlaubnisinhabern umzugehen?

Kontrovers zur Debatte stand die Frage: Wie ist mit Inhabern einer Fahrerlaubnis zu verfahren, bei denen nach Erwerb der Fahrerlaubnis körperliche Einschränkungen eintraten und die sich unter Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens eigeninitiativ an den TÜV zur Erstellung eines technischen Gutachtens wenden?

 

Argumente des TÜV SÜD

Nach Darlegung des TÜV SÜD ist zur Erstellung eines Gutachtens ein behördlicher Auftrag erforderlich. Das sei aus Gründen der Verantwortlichkeit und Haftung notwendig, denn letztlich sei die Behörde „Herr des Verfahrens“.

 

Ministerium bestätigt Eigenverantwortung der Betroffenen

Das Ministerium sieht für die Verwaltung keinen Handlungsbedarf. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 2 Absatz 1 Satz 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) klar und deutlich dem Verkehrsteilnehmer (also auch dem Fahrerlaubnisinhaber) auferlegt, selbst für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr Sorge zu tragen. Damit hat er bei körperlichen Beeinträchtigungen eigenverantwortlich für die notwendigen Hilfsmittel zu sorgen.

 

Ergebnis: Alles bleibt wie es war

Wenn Fahrerlaubnisbewerber eigeninitiativ wegen eines Gutachtens an den TÜV SÜD herantreten, wird dieser weiterhin ohne Information der Behörden Begutachtungen durchführen. Unter Wahrung eines „schlanken Verfahrens“ wird der TÜV SÜD allerdings die Auftragsbedingungen seiner Gutachten um Haftungsklauseln ergänzen.
Der Fahrlehrerverband Baden-Württemberg e.V. hält ein Gutachten durch eine fachliche und unabhängige Stelle für wichtig und begrüßt daher die Beibehaltung der bisherigen Begutachtungspraxis durch den TÜV SÜD.

 

Ralf Nicolai

 

Titelfoto: primipil/Stock.Adobe


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