28.07.2025© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juli 2025, Seite 382

UPDATE: Kritik und Wokeness

Kritik und Wokeness

Ein hoher Beamter der Regierung war als Redner zur Versammlung eines Berufsverbandes eingeladen. Der Verbandsvorvorsitzende begrüßte den Amtsträger höflich, aber ohne Überschwang. Er würdigte die Zusammenarbeit mit dem Ministerium und beschied den Beamten, er sei „den an ihn gestellten Anforderungen im Wesentlichen gerecht geworden“. Der Beamte schluckte das etwas zweifelhafte Lob und ging in seiner Rede nicht darauf ein. Viele Jahre danach erklärte er, seinem ersten Impuls, ebenso ruppig zu erwidern, nicht gefolgt zu sein. Es sei ihm schwergefallen, von „einer bewussten Provokation des Herrn Vorsitzenden auszugehen“. Doch in einer späteren Gedenkschrift konterte er ironisch: „Der Herr Vorsitzende hat es sich damals wohl leicht gemacht und wahrscheinlich aus einem ihm früher einmal erteilten Zeugnis zitiert.“ Und weiter: Er habe sich damals vorgenommen, „diesem Herrn das fragwürdige Lob bei Gelegenheit heimzuzahlen und kritisch zu beobachten, ob der neue Herr Vorsitzende den an ihn gestellten Anforderungen einigermaßen gerecht würde.“ Der Herr Vorsitzende war damals jung, ehrgeizig und schon ziemlich gewieft. Wahrscheinlich war er sich der Wirkung seines Zitats bewusst. Er wollte dem Beamten vielleicht auf diese Weise signalisieren: Mit mir werden Sie sich nicht so leichttun wie mit meinem Vorgänger.

 

Was darf man seinem Gegenüber zumuten? Wir erleben gerade, wie ein Staatspräsident als Gastgeber die Staatspräsidenten anderer Länder öffentlich herabwürdigt. Diese Bilder lassen uns schaudern. In einer demokratischen Gesellschaft ist Kritik wichtig, sehr wichtig sogar. Aber ein beachtlicher Teil unserer Gesellschaft hat durch den Freiraum der sogenannten sozialen Medien und auch durch die oft verletzenden Äußerungen von Politikern das richtige Maß für Kritik verloren. Zu häufig biegt Kritik vom Sachlichen ins Persönliche ab und geht schließlich über zu schamloser Beschimpfung.

 

Das Feingefühl, auch den bloßen Hauch von Kritik wahrzunehmen, ist diesem Teil unserer Gesellschaft, falls dieser es je besessen hatte, in den letzten Jahrzehnten abhandengekommen. Doch nahezu konträr dazu agiert heute eine überaus hellhörige und ebenso überflüssige Sprachpolizei, die uns sprachlich „woke“ machen will. Wokeness bedeutet nach Duden: „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung sein“. Das Substantiv „Wokeness“ ließe sich in etwa mit „politischer Wachsamkeit“ übersetzen (Zitate: aus Wikipedia).

 

Die Wirtschaft zum Mohren, die seit 100 Jahren so heißt, und die Weiberfastnacht sind im Sinne von Wokeness diskriminierende Begriffe. Das Z-Schnitzel musste zum Puszta-Schnitzel werden. Dunkelhäutig oder farbig geht für Menschen gar nicht mehr. Vergessen Sie auch nicht, dass es diverse Menschen gibt, die also weder weiblich noch männlich oder vielleicht noch anders sind. Flüchtlinge sind jetzt Geflüchtete, weil die jetzt ja schon da und nicht mehr auf der Flucht sind. Vor einiger Zeit wollte man uns das Wort Eskimo verbieten, weil es nach der Übersetzung von Wokeness-Sprachexperten „Rohfleischesser“ bedeutet und die Menschen des nördlichen Polargebiets erniedrigt. Renommierte Sprachwissenschaftler haben diesen Unsinn inzwischen mehrfach widerlegt. Die indigene Volksgruppe möchte, dass man sie Inuit nennt, das aber ist kein Ersatz für den Oberbegriff Eskimo, weil Inuit nicht im Wortschatz aller um den Nordpol lebenden Volksgruppen enthalten ist (Wikipedia).

 

Übrigens: Wer Mundart spricht, wird von den Jüngerinnen und Jüngern der Wokeness-Bewegung besonders scharf ins Visier genommen. Wo führt diese Wokeness hin? Zum häufigen Heucheln? Jedenfalls nicht zum besseren Zusammenhalt der Gesellschaft.

Wer das normale Leben nur noch durch die Brille der politischen Korrektheit zu betrachten strebt, wird scheitern; ebenso wie die Überprüfung der sittlichen Reife, die laut Ex-Bundeskanzler Scholz ein Regierungsmitglied besitzen muss.

 


 

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