15.08.2019

(2451) Wenn Vorfahrtberechtigte zu schnell fahren

Der Fall Im September 2011 befuhr Motorradfahrer Alex H. (Name geändert, Red.) den Haarweg in Werl, auf dem im Bereich der von rechts einmündenden Autobahnabfahrt die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h beträgt. Diese Begrenzung ließ der Motorradfahrer außer Acht. Sein Motorrad Yamaha war mindestens 121 km/h schnell, als der wartepflichtige Pkw-Fahrer Klaus B. mit seinem Pkw VW Touran langsam nach links in den Haarweg abbog. Zu diesem Zeitpunkt war das Motorrad noch ca. 250 Meter entfernt. Wegen des Abbiegemanövers des Pkw leitete der Motorradfahrer eine Bremsung ein und wich nach links aus, kollidierte jedoch mit dem abbiegenden Pkw. Bei dem Unfall zog sich der Motorradfahrer schwere Verletzungen zu.

Der Prozess Im vorliegenden Zivilverfahren haben die Parteien im Wege der Feststellungsklage darüber gestritten, ob der Pkw-Fahrer für den Unfall mitverantwortlich ist und dessen Haftpflichtversicherung der Krankenkasse des Motorradfahrers deswegen 1/3 der unfallbedingten Aufwendungen zu ersetzen habe.

1. Instanz Das Landgericht ging von überwiegendem Verschulden des Motorradfahrers aus und wies die Klage der Krankenkasse ab.

2. Instanz Das Oberlandesgericht Hamm schloss sich der Auffassung der Vorinstanz nicht an und bejahte eine 30-prozentige Mithaftung des Pkw-Fahrers am Unfallgeschehen.

Begründung Zunächst sei die unfallursächliche, massive Tempoüberschreitung des Motorradfahrers zu berücksichtigen, von der die klagende Krankenkasse ausgehe. Allerdings liege auch auf Seiten des Pkw-Fahrers ein schuldhaftes Verhalten vor. Beim Beginn seines Abbiegevorgangs sei das mit eingeschaltetem Fahrlicht herannahende Motorrad für den Pkw-Fahrer zu sehen gewesen. Wenn er dieses - seinen Angaben vor Gericht entsprechend - erst nach Abbiegebeginn erstmals wahrgenommen habe, habe er den Verkehr auf der bevorrechtigten Straße nicht ausreichend beachtet. Bei ausreichender Umschau hätte er die erhebliche Geschwindigkeit des Motorrads erkennen können und dann warten müssen. Keinesfalls habe er in der tatsächlich erfolgten langsamen Weise mit nur geringer Beschleunigung abbiegen dürfen, sondern - wenn überhaupt - hätte er zügig anfahren müssen. Beim Abwarten und - nach den Angaben des vom Gericht befragten Sachverständigen - auch beim zügigen Abbiegen wäre der Zusammenstoß zu vermeiden gewesen. Die damit ebenfalls unfallursächliche Vorfahrtverletzung des Pkw-Fahrers rechtfertige eine Haftung von
30 Prozent zu Lasten des Pkw-Fahrers und dessen Haftpflichtversicherung.

Oberlandesgericht Hamm
- Urteil vom 23.02.2016 -
Az. 9 U 43/15