15.06.2023

(2580) Eine überholt, eine andere will vorbeifahren

Der Fall   Annemarie (Name geändert, Red.) fuhr in ihrem Auto auf einer Landstraße auf eine Ampel zu. Vor ihr blockierte ein Lieferwagen mit laufendem Motor und eingeschaltetem Warnblinklicht die Fahrbahn. Der Verkehr stockte, Annemarie hielt zunächst an. Eine Autofahrerin dahinter, Pauline (Name geändert, Red.) begann, Annemarie und den Lieferwagen zu überholen. Im gleichen Moment setzte Annemarie zum Vorbeifahren am Lieferwagen an. Dabei stießen die beiden Autos zusammen.
Beide Frauen verlangten gegenseitig Schadenersatz. Pauline war der Ansicht, bereits neben dem Auto von Annemarie gewesen zu sein, als diese ausscherte, ohne auf den Verkehr zu achten. Annemarie wiederum führte an, dass die von hinten kommende Pauline bei einer unklaren Verkehrslage unzulässig überholt und den Seitenabstand nicht eingehalten habe. Sie klagte, bekam aber nicht vollumfänglich recht.

Das Urteil   Das Gericht entschied, dass der entstandene Schaden hälftig geteilt werden muss. Zwar habe Annemarie als Vorbeifahrende nicht die gleiche Sorgfalt walten lassen müssen wie die überholende Pauline. Trotzdem hätte sie sich vergewissern müssen, dass durch ihre Vorbeifahrt niemand gefährdet wird. Das habe Annemarie nicht getan. Aber auch die überholende Pauline habe sich nicht ordnungsgemäß verhalten. Denn der mit aktivierten Warnleuchten am Fahrbahnrand vor einer Ampel stehende Lieferwagen habe in der Tat eine unklare Verkehrslage dargestellt. Es sei nicht eindeutig zu erkennen gewesen, wie sich die beteiligten Autos verhalten würden. Zudem sei der Seitenabstand der von hinten überholenden Pauline nicht ausreichend gewesen. Und sie habe sich bei dem gesamten Vorgang angesichts des Gegenverkehrs auf der anderen Fahrbahnseite nicht ausreichend an der Verkehrslage orientiert.

Landgericht Saarbrücken
- Urteil vom 20.01.2023 -
Az. 13 S 74/22
Quelle: dpa/DAWR/ab - GLH