(2592) Kleinkind fährt los - wer zahlt?
Der Fall Ein Kleinkind saß nicht angeschnallt im Kindersitz auf der Beifahrerseite des Autos. Seine Mutter kehrte ganz kurz in die Wohnung zurück, weil sie dort etwas vergessen hatte. In dieser Zeit standen einige Verwandte des Jungen um das Auto herum. Der Autoschlüssel lag angeblich mit eingeklapptem Schlüsselbart auf der Ablage. Der Zweieinhalbjährige kletterte aus seinem Sitz, nahm den Schlüssel und startete das Auto. Das Fahrzeug machte einen Satz nach vorn und kollidierte mit einer Frau, die in der Nähe auf einer Bank saß. Sie erlitt schwere Verletzungen an den Kniegelenken. Die Krankenkasse der Frau wollte die Mutter daraufhin in die Pflicht nehmen. Diese aber weigerte sich, Schadenersatz zu zahlen. Die Mutter war der Ansicht, dass sie ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt habe. Das Starten des Wagens sei eine komplexe Abfolge von Handlungen. Und sie sei nur ein, zwei Minuten weg gewesen. Der gesamte Geschehensablauf sei unvorhersehbar gewesen. Sie habe mit dem Verhalten nicht rechnen müssen.
Urteil 1 Das Landgericht gab der Mutter Recht, doch die Krankenkasse ging in Berufung.
Urteil 2 Das Oberlandesgericht Oldenburg bewertete den Fall anders und stellte eine Aufsichtspflichtverletzung der Mutter fest.
Begründung Es sei nicht unwahrscheinlich, dass ein Zweieinhalbjähriger aus seinem Kindersitz krabbelt. Zudem sei bekannt, dass Schlüssel eine hohe Anziehungskraft auf Kleinkinder ausüben. Kleinkinder versuchten durchaus, Erwachsene nachzuahmen und Schlüssel irgendwo hineinzustecken. Selbst wenn der Schlüssel gesichert war, was unaufgeklärt blieb, sei es für ein Kleinkind leicht möglich gewesen, durch Drücken des silbernen Knopfes den Schlüsselbart zu öffnen. Daher sei es nicht jenseits aller Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind das Fahrzeug starten kann. Die Mutter habe so eine ganz erhebliche Gefahr geschaffen. Sie hätte ihrer Aufsichtspflicht nachkommen können, indem sie das Kind angeschnallt oder einen der umstehenden Verwandten gebeten hätte, es im Blick zu behalten, bis sie zurück ist. Daher haftet sie.
Oberlandesgericht Oldenburg
– Grundurteil vom 20.04.2023 –
Az. 14 U 212/22