30.06.2023© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juni 2023, Seite 318

UPDATE: Vorbildung von Fahrlehreranwärtern/-innen

Vorbildung von Fahrlehreranwärtern/-innen

Seit der Beruf des Fahrlehrers vor mehr als hundert Jahren seine Anfänge nahm, ist die Vorbildung der Kandidaten ein Streitthema. Damals konnte Fahrlehrer werden, wer sich in der neuen Technik schon gut auskannte. Meister und Gesellen eines einschlägigen mechanischen Handwerks, die schon Auto fahren konnten, hatten die besten Chancen, den Fahrlehrerschein zu bekommen. Die laufende Fortentwicklung des Automobils, die höhere technische Sicherheit, geringere Pannenanfälligkeit und leichtere Bedienbarkeit bewirkte, ließ die technische Vorbildung allmählich in den Hintergrund treten. Doch der Streit über eine plausible Vorbildung der Bewerber um die Fahrlehrerlaubnis hält bis zum Tage an. Das zeigt das Urteil des 2. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 24.04.2023. Danach muss, wer den Beruf Fahrlehrer/-in ausüben möchte, für die Zulassung zur erforderlichen Fahrlehrerprüfung über eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder über eine gleichwertige Vorbildung verfügen. Ein mittlerer Schulabschluss (Realschulabschluss) reicht hierfür nicht aus.

 

Die FahrSchulPraxis hat über den Fall der betroffenen Bewerberin in der Ausgabe 08/2021 auf Seite 528 ff. ausführlich berichtet. Eine 22-jährige Frau hat im März 2018 beim Regierungspräsidium Darmstadt die Erteilung einer Fahrlehrerlaubnis beantragt. Dazu legte sie unter anderem eine Bescheinigung über die im Juni 2013 erfolgte Zuerkennung des mittleren Abschlusses (Realschulabschluss) durch eine hessische Gesamtschule vor. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt die Klägerin nicht. Das Regierungspräsidium Darmstadt lehnte den Antrag der Klägerin durch einen im Juli 2018 erlassenen Bescheid mit der Begründung ab, sie verfüge nicht über die nach dem Fahrlehrergesetz (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) erforderliche Vorbildung.

 

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das Verwaltungsgericht Darmstadt verpflichtete das Land Hessen durch Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2021 (Az. 3 K 1871/18.DA), den mittleren Abschluss (Realschulabschluss) der Klägerin als gleichwertige Vorbildung anzuerkennen. Auf die Berufung des Landes Hessen hat der 2. Senat des Hessischen VGH die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Begründung: Der Gesetzgeber habe einer abgeschlossenen Berufsausbildung − gleichgültig in welchem Beruf − einen eigenständigen Bildungswert für den Fahrlehrerberuf beigemessen. Als gleichwertiger Schulabschluss seien stets nur das Abitur und das Fachabitur anerkannt worden. Seit der Neufassung des Fahrlehrergesetzes im Jahr 2017 sei zwar ein Hauptschulabschluss zusätzlich zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung nicht mehr vorgeschrieben. Der Gesetzgeber habe die Bildungsvoraussetzungen für angehende Fahrlehrer aber nicht absenken wollen. Er habe vielmehr den Zugang zum Fahrlehrerberuf auch für Bewerber ohne Schulabschluss, jedoch mit einer möglicherweise langjährigen Berufserfahrung mit Ausbilderbefugnis öffnen wollen. Ein mittlerer Abschluss (Realschulabschluss) sei einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Vorbildung für den Fahrlehrerberuf nicht gleichwertig. Die Fähigkeiten und Erfahrungen einer abgeschlossenen Berufsausbildung könnten in der Schulausbildung zur Erlangung eines mittleren Abschlusses nicht in gleicher Weise erworben werden. Die Fahrlehrerausbildung dauere nur 12 Monate und sei damit als berufliche Weiterbildung ausgestaltet. Der VGH hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Das ist auch gut so.

 

Das Urteil erscheint als weltfremd. Welches Unternehmen bietet heute einem Menschen ohne Schulabschluss ein Lehrverhältnis in einem anerkannten Beruf? Diesem Urteil liegt ein bedauerliches Versagen bei der Neufassung des Fahrlehrergesetzes zugrunde: Der Bund und die Länder konnten sich nicht auf eine klare Aussage zur schulischen Vorbildung von Fahrlehreranwärtern/Fahrlehreranwärterinnen einigen.

Quelle: Hessischer Verwaltungsgerichtshof/GLH


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