30.06.2023© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juni 2023, Seite 344

Im Gespräch mit Jennifer Spazier, der dritten Vorsitzenden des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V.

Jennifer Spazier (35), erste Vorständin des FLVBW
Foto: privat

FPX: Frau Spazier, Sie sind auf der Generalversammlung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V. am 22. April 2023 in Pforzheim gegen zwei Mitbewerber aus dem Beirat als Kandidatin für das Amt der dritten Vorsitzenden des Verbandes angetreten. Was hat Sie dazu bewogen?

 

Spazier: In der September-Ausgabe '22 der FahrSchulPraxis las ich den Aufruf an die Mitglieder über eine bevorstehende Neubesetzung des Amtes des dritten Vorsitzenden unseres Landesverbandes. Zunächst war ich etwas erstaunt über die Absicht von Herrn Rieker, sein Amt zugunsten eines jüngeren Mitglieds aufgeben zu wollen. Im nächsten Moment aber dachte ich, das könnte eine Chance für mich sein, im Verband etwas zu bewegen, etwas frischen Wind mitzubringen, kurzum, mitzuwirken an der Zukunftsfähigkeit des Verbandes. Da ich wenig später einen 14-tägigen Urlaub antrat, hatte ich Zeit, darüber nachzudenken.

 

Die Wahl lief überraschend gut für Sie: erster Wahlgang, überzeugende absolute Mehrheit, Jubel der Versammlung. – Waren Sie überrascht?

 

Ja, absolut. Ich war in den Wochen vor der Mitgliederversammlung etwas nervös, fast so wie vor der Lehrprobe in der Fahrlehrerprüfung. Ich wusste, ich trete da gegen zwei starke Gegenkandidaten aus dem Beirat an. Eine Wette auf den Erfolg meiner Kandidatur hätte ich jedenfalls nicht abgeschlossen. Aber als ich nach der Vorstellungsrunde der Kandidaten die Bühne verließ und den Beifall der Versammlung hörte, hatte ich spontan das Gefühl: Das könnte etwas werden.

 

Nach dem aktuellen Geschäftsbereichsplan des Verbandes – sofern dieser bleibt wie bisher – werden Sie neben anderen Aufgaben schwerpunktmäßig für die Betreuung der 39 Kreisvereine des Verbandes zuständig sein. Ein wichtiges Engagement an der Basis. Wie wollen Sie diesen Job angehen, was soll durch Sie für die Kreisvereine und in den Kreisvereinen besser werden?

 

Zuerst einmal muss man wissen, ob und welche Probleme in den Kreisvereinen herrschen und was die sich wünschen. Dazu werde ich in den nächsten Wochen mit den Vorsitzenden Kontakt aufnehmen und mich schrittweise in den Kreisvereinen vorstellen. Meine Einstellung zu dieser Aufgabe ist sehr positiv. Es geht in den Kreisvereinen besonders auch darum, neue Mitglieder zu gewinnen. Ich habe vor, die Versammlungen der Kreisvereine möglichst oft zu besuchen.

 

Ab sofort reden Sie im Vorstand mit. Ist der Verband auf dem Stand der Zeit? Worin muss der Verband besser werden? Wo sehen Sie Erneuerungsbedarf?

 

Der Verband muss mit der Zeit gehen. Heutzutage spielt sich sehr viel digital ab, und dafür braucht es noch etwas Pep. Mir ist bewusst, es ist keine leichte Aufgabe, Altgewohntes, Bewährtes und scheinbar Unersetzliches zu verändern, das braucht etwas Zeit. Sicher ist aber, Veränderungen sind oft wichtig, um ein Unternehmen in eine sichere Zukunft zu führen. Das gilt ebenso für Berufsverbände.

 

An die erste Vorständin in diesem seit 73 Jahren bestehenden Verband abschließend noch diese Frage: Wie kann Fahrlehrerin noch mehr zu einem gefragten Frauenberuf werden? Was muss dafür atmosphärisch, was in den Regelungen des Fahrlehrerrechts geschehen?

 

Aktuell liegt die Frauenquote hierzulande bei 15 Prozent, Tendenz steigend. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Es war gut, dass der Besitz des Lkw- und Motorradführerscheins als Voraussetzung für den Erwerb der Fahrlehrerlaubnis Klasse BE gestrichen wurde. Die im Straßenverkehr auftretenden Konflikte und Gefahren im Zusammenhang mit Lkw und Motorrädern sind dennoch Gegenstand der Ausbildung von angehenden Fahrlehrerinnen und Fahrlehrern, denn diese Themen sind im theoretischen und praktischen Unterricht für Fahrschüler der Klassen B, BE und L gründlich zu behandeln.

 

Abschreckend können die Kosten der Fahrlehrerausbildung sein, die heute auch ohne Führerscheine A und CE satt fünfstellig sind.

 

Ein Anreiz für Frauen mit Familie ergibt sich jedoch aus der in Fahrschulen sehr flexibel gestaltbaren Arbeitszeit.

 

Einen Mangel im Fahrlehrerrecht sehe ich darin, dass nach erfolgreicher Fahrlehrerprüfung kein staatliches Prüfungszeugnis erteilt wird, aus dem die Leistung in den einzelnen Kompetenzbereichen in Noten hervorgeht. Ein solches Zeugnis könnte m. E. für einen Aufstieg innerhalb des Berufs und den Umstieg in einen ähnlichen Ausbildungsberuf oder auch in einen ganz anderen Beruf des Mobilitätswesens von ziemlicher Bedeutung sein.

 

Frau Spazier, vielen Dank für Ihre klaren, anregenden Antworten.

Das Interview führte G.L. Heiler

 

Zur Person

Jennifer Spazier kam vor 35 Jahren in Ostfildern zur Welt und wuchs dort auf. Nach erfolgreichem Realschulabschluss trat sie eine dreijährige Ausbildung zur Pferdewirtin an, die sie mit erfolgreicher staatlicher Prüfung abschloss. In diesem Beruf arbeitete sie mehrere Jahre. Zugleich half sie im Büro einer Fahrschule in Stuttgart aus, wobei sie Gefallen am Fahrlehrerberuf fand. 2009 durchlief sie die Fahrlehrerausbildung und legte die Prüfung für die Fahrlehrerlaubnis der Klassen A und BE mit Erfolg ab. Nach zweijähriger Arbeit als angestellte Fahrlehrerin in Stuttgart erwarb sie eine eingesessene Fahrschule in Stuttgart, die sie mit zwei Mitarbeitenden betreibt. Im Mai 2022 wählten die Kolleginnen und Kollegen des Kreisvereins Stuttgart Jennifer Spazier zu ihrer Vorsitzenden.

 


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