30.11.2022© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe November 2022, Seite 668

Explodierende Strompreise: Dem Elektroauto drohen hohe Mehrkosten

Europas Ausblick auf den Winter macht vielen Menschen angesichts der Energiekrise Angst. So kommen zu steigenden Gaspreisen auch noch höhere Stromkosten. Vor allem die Preise für die Kilowattstunde sind ein erhebliches Manko für die E-Mobilität, denn die Kostenvorteile von Elektroautos versiegen damit immer mehr. Was das für die Anschaffung der Fuhrparks für Fahrschulunternehmen bedeutet, beleuchtet der nachfolgende Beitrag.

 

So viel vorweg: Die Autobranche wird sich sukzessive vom Verbrenner verabschieden. Eine Alternative dazu wird unisono nicht gesehen. Gleichwohl dürften Elektroautos im Kostenvergleich mit Verbrennern bald die Verlierer sein. Das zumindest prognostiziert das Duisburger Center Automotive Research (CAR) in einer aktuellen Studie, in der drei Elektroautos drei adäquaten Verbrennermodellen gegenübergestellt wurden. Der Hauptgrund liegt in den explodierenden Strompreisen, die in Deutschland bisher an die Gaspreise gekoppelt sind. Angesichts des „Gaskrimis“ – hervorgerufen durch den immer noch andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – denkt die Politik jedoch jetzt über eine Änderung dieser unsinnigen Koppelung nach.

 

Dabei sah die E-Welt vor ein paar Monaten noch ganz anders aus. So waren laut einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox E-Autos im März 2022 in Bezug auf die Energiekosten um bis zu 60 Prozent günstiger als Verbrenner. Bisher galt die bekannte Formel für Elektroautos, dass sie zwar teuer in der Anschaffung, dafür aber günstig im Betrieb sind. Doch diese Kalkulation könnte angesichts des teuren Stroms, wegfallender Förderprämien und nur noch geringer Rabatte kippen. Ab 2023 warten auf Nutzer von Elektroautos in Deutschland deutliche Kostennachteile, heißt es bei CAR.

 

Verkehrswende in Gefahr

Prof. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach sieht in den steigenden Strompreisen gar eine akute Gefahr für die Verkehrswende. Für Bratzel kommt es daher entscheidend darauf an, dass die Strompreise unter den Spritpreisen bleiben. Nur dann würden sich Autofahrende für den Kauf eines E-Autos entscheiden. Das hat übrigens auch eine Umfrage der Strategie- und Marketingberatung Simon, Kucher & Partners bestätigt. Mehr als die Hälfte der deutschen Befragten plant danach gewöhnlich mit einem monatlichen Tank-Budget von 50 bis 150 Euro, um übliche Fahrstrecken abzudecken. Die Ergebnisse der Studie zeigen: Je höher die erwartete Benzinpreisänderung, desto höher das Interesse am Erwerb eines Elektrofahrzeugs. Wie Prof. Bratzel in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung weiter betonte, bedrohe neben den galoppierenden Strompreisen auch die Inflation die Verkehrswende, da größere Anschaffungen seitens der Kundschaft aufgeschoben bzw. alte Diesel oder Benziner länger gefahren würden.
Das bestätigt auch der DAT-Report vom September 22, in dem es klar heißt: „Die Menschen haben derzeit andere Themen auf der Agenda als den Autokauf – auch was die intensive Beschäftigung mit der E-Mobilität betrifft.“ Für die Fahrzeuganbieter und -käufer kommt allerdings noch ein weiteres wichtiges To-do hinzu: die Verbesserung der Ladeinfrastruktur. So gelte es, die E-Mobilität durch eine optimierte Ladeinfrastruktur praxistauglicher zu gestalten.

 

Fahrschulen: Risikominimierung durch klugen Mix

Für die Unternehmen der Fahrschulbranche heißt es, angesichts der massiv steigenden Energiepreise und damit auch der Strompreise für E-Autos nicht in Panik zu geraten. So hat sich selbst ein Megaplayer wie der Volkswagen Konzern ganz dem Wandel vom Verbrenner hin zur E-Mobilität verschrieben. Zwar wird sich auch VW nicht den aktuellen Gegebenheiten entziehen können, doch der Ausstieg aus dem Verbrenner ist für die Autobranche Fakt, zumal das von der EU geplante Verbrennerverbot ab dem Jahr 2035 nach wie vor gilt. Daher sollten Fahrschulunternehmen ihre Fuhrparks jetzt „gesund“ mischen, indem sie weiter Fahrzeuge mit unterschiedlichen Antrieben ins Portfolio nehmen und somit die Risiken minimieren. Auch sollten sie den Automobilmarkt, die Energiepreise sowie die politischen Entscheidungen mehr denn je sorgsam beobachten.

Die Automobilhersteller jedenfalls werden sich nach Überzeugung der Experten angesichts des hohen Anteils der Batteriekosten an den Gesamtkosten eines Autos auf mittlere Sicht stärker auf die Produktion höherwertiger Fahrzeuge konzentrieren, damit es sich für sie rechnet. Kleine und mittlere Fahrzeuge werden dagegen in der Elektromobilität mittelfristig eine eher untergeordnete Rolle spielen. Wann sich dieser Trend umdrehen wird, kann indes derzeit noch keiner sagen. Deshalb heißt es, weiter achtsam zu bleiben und aufmerksam die Märkte zu beobachten.

 

Isabella Finsterwalder


Interview mit Dr. Matthias Pfriem

 

Dr. Matthias Pfriem
Senior Account Executive und E-Mobility-Spezialist
bei PTV. Er verfügt über langjährige Forschungserfahrung
im Bereich der E-Mobilität - Foto: © PTV

Elektrifizierung: Effizienzniveaus, die für Verbrenner unerreichbar sind

Für Europas Autobauer kommt die Krise zur Unzeit, ist man mit der Umstellung der Flotten in den vergangenen Jahren doch gut vorangekommen. Rezession und Energiekrise gefährden nun aber strategische Ziele. Und was heißt das für die Fahrschulen? FPX befragte Dr. Matthias Pfriem von der PTV Group (Planung, Transport, Verkehr).

 

FPX: Zahlreiche Fahrschulen stellen seit einiger Zeit ihre Fuhrparks auf Stromer um, um energieschonender und umweltfreundlicher unterwegs zu sein. Allerdings haben sich die Zeiten angesichts der explodierenden Strompreise gedreht. Wozu raten Sie den Unternehmen aktuell hinsichtlich der Zusammenstellung ihres Fahrschulfahrzeugfuhrparks?

 

Dr. Matthias Pfriem:   Der Treiber hinter der Elektrifizierung des Verkehrs war nie, die Individualmobilität günstiger auszugestalten als heute. Die zentrale Motivation für die Umstellung auf Elektrofahrzeuge ist die Dekarbonisierung des Verkehrssektors, also die Reduktion der Emissionen des Treibhausgases CO2, um den menschengemachten Klimawandel zu begrenzen. Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes hat die deutsche Regierung das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert und bereits für 2030 eine Reduktion der Emissionen um 65 % gegenüber 1990 geplant. Für den Verkehrssektor ist die Elektrifizierung die wirksamste Maßnahme. Auch wenn der stark steigende Strompreis derzeit einen Dämpfer darstellt, sollte an dieser strategischen Ausrichtung nicht gerüttelt werden. Andere Energieträger wie Benzin und Diesel haben sich auch verteuert und durch zu erwartende Verschärfungen der Abgasnormen werden auch die Fahrzeugpreise der Verbrenner weiter steigen.

 

Ein zentraler Faktor aus meiner Sicht ist, dass die Fahrausbildung zukunftssicher und primär für die heute junge Generation gestaltet werden sollte. Zukünftig ist ein immer höherer Anteil von Elektrofahrzeugen zu erwarten, sodass die Fahrschüler/-innen sich auch schon in der Fahrschule mit den Charakteristika dieser Antriebsform vertraut machen sollten. Und in der Generation, die heute im typischen Fahrschulalter ist, herrscht – getrieben durch Fridays for Future etc. – auch ein höheres ökologisches Bewusstsein. Die Fahrschulen sollten sich durch einen nicht auf Zukunft und das Ziel der Klimaneutralität ausgerichteten Fuhrpark keinen Wettbewerbsnachteil erzeugen.

 

Vor dem Hintergrund des teuren Stroms, einer geringeren staatlichen Prämie bei der Anschaffung von E-Autos sowie kaum noch Rabatten: Sehen Sie E-Autos heute tatsächlich noch als State of the Art an?

 

Hierzu gibt es ein klares Ja! Die Verteuerung der Energie betrifft leider alle Sektoren und Lebensbereiche, nicht nur die Mobilität oder den Strom. Dass Kaufprämien für E-Fahrzeuge nicht ewig gezahlt werden können, war auch klar. Hier ging es um eine weitere Anschubfinanzierung, um diesem Technologiewechsel im Pkw auch marktseitig zum Durchbruch zu verhelfen. Den Übergang in den Mainstream hat die E-Mobilität aus meiner Sicht nun geschafft. Und aus Sicht der Automobilindustrie sind die Hebel schon länger in Richtung Elektrifizierung gestellt. Bis eine neue Fahrzeuggeneration auf den Markt kommt, vergehen heute typischerweise fünf Jahre Entwicklungsarbeit bei Herstellern und Zulieferern. Die Modelloffensive, die wir nun nach und nach im Markt ankommen sehen, ist also schon lange in der Entwicklungspipeline. Zahlreiche große Hersteller haben schon klare Ausstiegsdaten für den Verbrennungsmotor in Europa für das Jahr 2030 oder davor formuliert. Der VW-Konzern beispielsweise kündigte bereits Anfang 2021 mit den Marken Audi und VW an, keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zu entwickeln. Man wird bestehende Motorgenerationen für gewisse Modelle noch weiterentwickeln, um sie dann für die kommenden Abgasnormen wie Euro 7 zu ertüchtigen. Aber das Ende des Verbrennungsmotors in Europa ist absehbar.

Die Elektromobilität hingegen profitiert nun kontinuierlich von den fokussierten Anstrengungen für Forschung und Entwicklung zur Verbesserung der Technologie. Das zeigt sich nicht nur in immer neuen Fahrzeugen und Plattformen, sondern in ganz konkreten technologischen Fortschritten: beispielsweise bei der Energiedichte der Batterien, der Energieeffizienz der Leistungselektronik oder in Summe in Fortschritten auf Gesamtfahrzeugebene. Ein gutes Beispiel dafür ist der Rekordverbrauch von nur 8,3 kWh/100 km, den Mercedes mit dem Forschungsfahrzeug Vision EQXX erreicht hat. Das entspricht dem Energiegehalt von knapp unter einem Liter Superbenzin und zeigt, dass durch Elektrifizierung Effizienzniveaus erreicht werden können, die für Verbrenner schlicht außer Reichweite sind.

 

QXX - © Mercedes-Benz

 

Die Batteriekosten eines Fahrzeugs bei der Herstellung sind immens. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Autobauer künftig vor allem große Stromer mit einer für sie höheren Marge produzieren werden und das Angebot für Klein- und Kompaktfahrzeuge damit deutlich schrumpft?

 

Es stimmt, dass die Batterie einen wichtigen Kostenfaktor im E-Fahrzeug darstellt. In den vergangenen 10, 12 Jahren haben wir hier jedoch schon eine Kostenreduktion um den Faktor 10 beobachten können. Immer bessere Materialkombinationen, aber vor allem immer effizientere Produktionsprozesse machen das möglich. So konnte der Energiehunger der Batterieproduktion signifikant gesenkt werden, was die Öko- wie die Kostenbilanz verbessert. Gleichzeitig sehen wir tatsächlich auch einen Trend zu größeren und margenstärkeren Fahrzeugen. Dieser ist jedoch von der Elektrifizierung eher entkoppelt zu betrachten. Kleinstwagen wie der Opel Adam wurden auch abgekündigt, weil die immer höheren Anforderungen der Abgasnachbehandlung für Verbrenner auf dem Preisniveau eines solchen Kompaktfahrzeugs schlicht kaum noch rentabel darzustellen sind. Das gilt umso mehr für zukünftige Abgasnormen.
Gleichzeitig haben wir in den vergangenen Jahren durch verschiedene Effekte, wie den Einfluss der Corona-Pandemie und die weltweite Halbleiterknappheit, bei einigen Herstellern eine Priorisierung der margenstarken Modelle in der Produktion beobachten können. Ziel war es, trotz gesunkener Verkaufszahlen und Umsätze das Gewinnniveau halten oder ausbauen zu können.

 

All das sind aber keine Effekte der Elektrifizierung. Im Gegenteil, die vergleichsweise einfach und kompakt darstellbaren elektrischen Antriebe ermöglichen ganz neue Fahrzeuge oder Fahrzeugkategorien, insbesondere auch in kleinen Größen. So haben wir alle in den letzten Jahren beobachten können, wie plötzlich E-Scooter in Sharing-Systemen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Und nach anfänglichen Startschwierigkeiten, in denen die richtige Balance für die Integration in die Städte gefunden werden musste, sind sie nun ein etablierter Teil des Mobilitätsökosystems. Und das als kleine Kraftfahrzeuge einer neuen Kategorie, die erst durch E-Antriebe sinnvoll möglich wurden. Wir sehen auch ambitionierte Projekte von kleinen Herstellern: Unternehmen wie Micro, die mit dem Microlino ein E-Fahrzeug im Stile der BMW Isetta entwickelt haben, versuchen, die Kategorie der Kleinstfahrzeuge neu zu beleben. Und auch große Hersteller streben nicht nur nach immer größeren und schwereren Fahrzeugen. So hat Citroën beispielsweise Ende September mit dem Oli eine Studie für ein aufs Wesentliche reduziertes elektrisches Familienfahrzeug für die Stadt vorgestellt, das letztlich nur 1.000 kg auf die Waage bringen und insbesondere durch einen attraktiven Preis punkten soll.

 

Microlino - © Micro Mobility Systems AG

 

Wie blicken Sie auf die Zukunft der Elektrifizierung? Ist das Potenzial der E-Mobilität schon voll ausgeschöpft?

 

Wir neigen leider dazu, oft die vermeintlichen Nachteile in den Fokus zu rücken und zu wenig die Chancen zu sehen, die auch hinter der Elektrifizierung stecken. E-Mobilität ermöglicht eine saubere und nachhaltige Individualmobilität mit bestehenden oder auch ganz neuen Fahrzeugkonzepten wie eben E-Scooter. Die Fahrzeuge zeichnen sich durch Ruhe, Laufkultur und – wenn gewünscht – auch besondere Fahrdynamik aus. Aus Sicht der neuen Fahrerinnen und Fahrer bringt die E-Mobilität aber auch eine Vereinfachung. Die Fahrzeuge sind sehr leicht zu handhaben, man muss kein manuelles Getriebe bedienen, keinen Ölstand prüfen etc. Die private Lademöglichkeit vorausgesetzt, kann ich mir im Alltag den Weg zur Tankstelle sparen.

 

Und das Ende der Entwicklung ist hier noch lange nicht in Sicht. In der Anfangsphase der Pkw-Mobilität gab es noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen E-Fahrzeugen und Verbrennern. Die kultivierteren E-Fahrzeuge hatten ihre Vorteile in den Städten, die Verbrenner haben die Reichweitenvorteile auf Überlandpassagen ausgespielt. Erst als man den Verbrennungsmotoren mehr und mehr „Manieren“ antrainiert hatte und durch den elektrischen Anlasser das lästige und mit Verletzungspotenzial behaftete Ankurbeln entfiel, trat der Verbrenner den Siegeszug an. Nachdem sich Forschung und Entwicklung in der Fahrzeugtechnik gute 100 Jahre auf die Verbrenner fokussiert haben, sind nun mit veränderten Randbedingungen und Fokus auf klimafreundliche Mobilität die elektrischen Antriebe in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Die technologischen Fortschritte des letzten Jahrzehnts sind erst der Anfang. Hier gibt es noch zahlreiche Verbesserungen in der Pipeline, auf die wir uns freuen dürfen.


Die PTV Group auf einen Blick

Die PTV Group bietet Softwarelösungen und Beratungsdienste, um Mobilität und Verkehr für eine sauberere und intelligentere Zukunft zu befähigen. In mehr als 120 Ländern verlassen sich Unternehmen auf die Lösungen von PTV. Seit ihrer Gründung 1979 als Spin-off der Technischen Universität Karlsruhe (KIT) ist Karlsruhe der Hauptsitz der PTV Group mit ihren aktuell weltweit rund 900 Mitarbeitern. Mit dem internationalen Private Equity Investor Bridgepoint und der Porsche Automobil Holding SE hat PTV zwei starke Partner an ihrer Seite.


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