15.01.2012© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Januar 2012, Seite 43

BVerwG zum "EU-Führerschein": Stopp für Führerscheintourismus

Jüngst hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in drei ähnlich gelagerten Verfahren (Urteile vom 25.08.2011, Az. 3 C 25.10, 28.10 und 9.11) geklärt, ob die Ungültigkeit eines im EU-Ausland ausgestellten Führerscheins in Deutschland durch Verwaltungsakt der zuständigen deutschen Behörde festgestellt werden muss.

 

Das Gericht hat klargestellt, dass die Ungültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland allein durch die abstrakt-generelle Regelung des § 28 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) getroffen wird. Damit sind dem sogenannten Führerscheintourismus erheblich engere Grenzen gesetzt worden.

 

Die Sachverhalte

Den Klägern war die deutsche Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrten durch strafgerichtliche Entscheidungen entzogen worden. Daraufhin erwarben sie in der Tschechischen Republik einen neuen Führerschein. Zum Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins hatten sie ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in der Tschechischen Republik, sondern in Deutschland. Das ergab sich in einem Fall aus dem Führerscheindokument selbst: Es war eine deutsche Adresse eingetragen. In einem weiteren Fall lagen hierzu unbestreitbare Informationen aus der Tschechischen Republik vor (§ 28 Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 FeV). Im dritten Fall war dem Kläger der tschechische Führerschein während einer noch laufenden deutschen Sperrfrist erteilt worden (§ 28 Absatz 4 Satz 1 Nr. 4 FeV). Die deutschen Fahrerlaubnisbehörden befanden, dass die Inhaber der tschechischen Führerscheine nicht berechtigt waren, in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen; sie sperrten deshalb die Führerscheine. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben in den Vorinstanzen jeweils erfolglos.

 

Die Entscheidung des BVerwG

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch die Revisionen der Kläger mit der Begründung zurückgewiesen, dass die in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis von Anfang an nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigt, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz ausweislich der vom Europäischen Gerichtshof geforderten Nachweise nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte oder wenn die Fahrerlaubnis dort während einer noch laufenden Sperrfrist erteilt wurde. Diese Rechtsfolge ergibt sich unmittelbar aus § 28 Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 und 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung. Hierzu bedarf es nicht zusätzlich einer Einzelfallentscheidung einer deutschen Fahrerlaubnisbehörde. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift: „Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht …“

 

Es bedarf keines feststellenden Verwaltungsakts

Paragraf 28 Absatz 4 Satz 2 FeV sieht lediglich vor, dass die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen kann, aber nicht muss. Weder verfassungsrechtliche Grundsätze noch die zweite EG-Führerscheinrichtlinie (91/439/EWG) hindern den deutschen Verordnungsgeber, seine Befugnis zur Ausgestaltung des Fahrerlaubnisrechts in der Weise auszuüben, dass er die Ungültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland durch eine abstrakt-generelle Regelung anordnet.

 

Führerscheintourismus

Das Thema Führerscheintourismus ist bei Behörden und Gerichten seit Jahren ein Dauerbrenner. Meistens geht es dabei um Folgendes: Einer in Deutschland ansässigen Person wird die deutsche Fahrerlaubnis entzogen (z.B. wegen Fahrens unter Alkohol oder Drogen). Vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, vor allem bei wiederholtem Entzug des Führerscheins (§ 11 Absatz 3 Satz 1 Nr. 9 Buchstabe a FeV), verlangen die Behörden eine medizinisch-psychologische Begutachtung. Das EU-Recht schreibt bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis aus Gründen der Verkehrssicherheit die Einhaltung von Mindeststandards vor. Die im Bereich der ärztlichen Untersuchung strengere deutsche Auflage einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) ist in den meisten anderen EU-Staaten unbekannt. Ein Ausweg für die Betroffenen scheint daher der Erwerb einer ausländischen Fahrerlaubnis in einem EU-Staat zu sein: Schnell, günstig und ohne eingehende Begutachtung der Fahreignung.

 

Gegenseitige Anerkennung gilt nicht immer

Den Behörden in Deutschland waren in solchen Fällen lange Zeit die Hände gebunden. Nach der zweiten EG-Führerscheinrichtlinie (91/439/ EWG) von 1991 sind die in einem EU-Staat ausgestellten Führerscheine von allen anderen EU-Staaten anzuerkennen. Dementsprechend entfällt bei Umzug von einem EU-Staat in einen anderen der Umtausch des Führerscheins. Das bedeutet, dass ein gültiger und rechtmäßig erworbener Führerschein aus einem EU-Staat den Inhaber berechtigt, in Deutschland Kraftfahrzeuge der im Führerschein angegeben Klassen zu führen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann die Anerkennung in zwei Fällen unterbleiben:

  1. wenn sich aus den Eintragungen im Führerschein selbst („Wohnort“ mit deutscher Adresse) oder „aus anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen“ ergibt, dass der Inhaber der Erlaubnis nicht mindestens 185 Tage im Jahr im Ausstellerstaat gewohnt hat („Wohnsitzerfordernis“);  
  2. wenn der ausländische Staat die Fahrerlaubnis erteilt hat, während in Deutschland noch eine Sperrfrist gegen den Betroffenen lief.

Die EuGH-Rechtsprechung fand ihren Ausdruck in der dritten EG-Führerscheinrichtlinie (2006/126/EG), die in Deutschland durch den seit dem 19. Januar 2009 geltenden § 28 Absatz 4 FeV umgesetzt wurde. Die Grundaussage des Bundesverwaltungsgerichts ist also bereits seit 2009 geltendes Recht.

 

Vorsicht vor Umgehungsangeboten

Einige dubiose „Unternehmer“ bieten in Deutschland Gestrauchelten gegen sattes Entgelt an, beim angeblich legalen Führerscheinerwerb (z. B. in der Tschechischen Republik) zu helfen. Der Anbieter meldet den Führerscheinbewerber für 185 Tage in Tschechien an und beantragt für ihn eine Aufenthaltsgenehmigung. Der „Kunde“ macht innerhalb von zwei Tagen in Tschechien seine „Fahrprüfung“ und fertig. Der Führerschein wird ihm nach zwei Wochen von einem „entgegenkommenden“ tschechischen Behördenvertreter ausgehändigt. Ähnliche „Geschäftsmodelle“ werden auch in anderen EU-Mitgliedstaaten angeboten. Weil die Anmeldung nur pro forma erfolgt, wird ein Wohnsitz im Sinne der FeV nicht begründet. Hier geht es nicht um Hilfe, sondern um schnelles Geld durch Täuschung willfähriger Kunden. Davor muss gerade mit Blick auf die jüngsten Entscheidungen des BVerwG gewarnt werden.

Entgegen der Behauptungen der zweifelhaften Anbieter handelt es sich nicht um ein legales Geschäft. Vielmehr werden die nationalen Eignungsvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bewusst umgangen.

Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat in seiner aktuellen Entscheidung nochmals eindeutig klargestellt, dass in Fällen, auf die § 28 Absatz 4 FeV Nr. 2 bis 5 zutrifft, die ausländische Fahrerlaubnis kraft Gesetzes ungültig ist, ohne dass es dazu eines behördlichen Bescheides bedarf. Eine Mindestaufenthaltsdauer im Ausstellerstaat und damit die Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses sind unerlässlich, um die Voraussetzungen der Fahreignung zu überprüfen. Der „Führerscheintourist“, der unter Umgehung der Vorschriften im Ausland einen Führerschein erworben hat, fährt in Deutschland ohne Fahrerlaubnis und erfüllt objektiv den Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 des Straßenverkehrsgesetzes.

Ralf Nicolai


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