15.09.2016

(2372) Fahrlässige Körperverletzung oder eine Art Notwehr?

Der Fall An einer Fahrbahnverengung kam es zum Streit zwischen zwei Autofahrern. Der eine verfolgte den anderen und stellte ihn. Wut- entbrannt stieg der eine Fahrer aus und rüttelte derart am Griff der verschlossenen Fahrertür des Beklagten, dass dieser befürchtete, der Griff werde abreißen. Zugleich trommelte er mit den Fäusten gegen das gegnerische Fahrzeug. Der Beklagte blieb sitzen, fuhr langsam los und dabei dem Wütenden über den Fuß. Dieser klagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld i.H.v. 1.600 Euro.

Urteil der ersten Instanz    Das Amtsgericht Pforzheim (Az. 2 C 175/15) hat der Klage nach Beweisaufnahme teilweise stattgegeben. Angesichts eines vom Kläger vorgelegten Attestes und der dort dokumentierten Verletzungen stehe fest, dass der Beklagte dem Kläger über den Fuß gerollt sei. Es sei von einer fahrlässigen Verletzung auszugehen, für Vorsatz bestünden keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte. Es sei ein Schmerzensgeld i.H.v. 600 EUR angemessen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Der Beklagte bestreitet weiterhin, dem Kläger über den Fuß gefahren zu sein.

2. Instanz: Landgericht Karlsruhe    Die Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte dem Kläger über den Fuß rollte und welche Verletzungen hierdurch im Einzelnen verursacht wurden. Ein Anspruch scheidet jedenfalls aufgrund einer überwiegenden eigenen Verantwortung des Klägers aus.

Leitsatz Ein aufgebrachter Verkehrsteilnehmer, der verbal einschüchternd gegenüber einem Fahrzeugführer auftritt und Tätlichkeiten gegenüber dem Pkw verübt, muss mit dessen Flucht aus dieser bedrohlichen Situation rechnen. Kommt es bei dem Fortfahren zu Verletzungen des Verkehrsteilnehmers, kann eine Haftung des Fahrzeugführers aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 11 Satz 2 StVG, 115 VVG aufgrund überwiegender eigener Verantwortlichkeit des Geschädigten entfallen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger sehr aufgebracht war gegenüber dem Beklagten, verbal einschüchternd auftrat und Tätlichkeiten gegenüber dem Pkw des Beklagten verübte.

Ein Anspruch des Klägers aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 7, 11 Satz 2 StVG, 115 VVG scheidet jedenfalls aufgrund einer überwiegenden eigenen Verantwortlichkeit des Klägers für die Schadensentstehung aus. Im Hinblick auf den Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens ergibt sich dies (unmittelbar) aus §§ 9 StVG, 254 BGB, im Hinblick auf den Schmerzensgeldanspruch aus dem Gewicht des Mitverschuldens im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung (hierzu Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl. 2016, § 253 Rdnr. 20). Offen bleiben danach kann, ob das Verhalten des Beklagten sogar durch Notwehr gerechtfertigt war (fraglich allerdings im Hinblick auf den hierfür erforderlichen Verteidigungswillen). Die Verantwortung des Klägers für den Vorgang überwiegt derart, dass diejenige des Beklagten - auch unter Einbeziehung der Betriebsgefahr seines Pkw - demgegenüber zurücktritt. Ein Anspruch auf Ersatz materieller und/oder immaterieller Schäden besteht danach nicht. Der Wüterich ging leer aus.

Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2016, Az. 20 S 16/16

Quelle: www.rechtsindex.de