30.10.2022© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober 2022, Seite 620

BF16: "Ein Gewinn für alle"

Der Fahrerlaubniserwerb im Rahmen des begleiteten Fahrens ab 17 Jahren (BF17) ist ein voller Gewinn. Jetzt geht es um die Einführung von BF16. Warum dies ein voller Erfolg für alle wäre, erläutert Prof. Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), im Gespräch mit FPX-Redakteurin Isabella Finsterwalder.

 

Prof. Dr. Walter Eichendorf
DVR-Präsident – Foto: André Kowalski/DVR

 

FPX: Die Bundesregierung plant, die Altersgrenze für den Erwerb des Pkw-Führerscheins im Rahmen des begleiteten Fahrens auf 16 Jahre zu senken. Wie sinnvoll ist es, das Alter beim begleiteten Fahren zu reduzieren?

 

Prof. Walter Eichendorf:   Der Fahrerlaubniserwerb im Rahmen von BF17 in Deutschland ist ausgesprochen erfolgreich. Die Studie von Schade & Heinzmann (2019) belegt eine Reduktion bei erheblichen Unfallbeteiligungen um 23 Prozent und bei erheblichen Verkehrsverstößen um 22 Prozent beim Vergleich der Teilnehmenden an BF17 mit jungen Menschen mit herkömmlichem Erwerb der Fahrerlaubnis.1 Zum Hintergrund: Die Grundidee für BF17 kommt aus Schweden. Im Jahr 1993 senkte man dort das Einstiegsalter zur Fahrausbildung von 17,5 Jahren auf 16 Jahre ab. Das Mindestalter für das Ablegen der Fahrerlaubnisprüfung blieb dort aber weiterhin bei 18 Jahren. Im Gegensatz zu Deutschland existiert begleitetes Fahren in Schweden schon Jahrzehnte und ist Bestandteil der Ausbildung. Durch die Senkung des Mindestalters von 17,5 Jahren auf 16 Jahre für den Beginn der Ausbildung wurde die Lernzeit der jungen Menschen deutlich verlängert. Der Erfolg der Senkung des Mindestalters und der damit verlängerten Lernzeit war deutlich: Die Evaluationen in Schweden (Quelle: Gregersen) haben gezeigt, dass der verlängerte Lernzeitraum die Unfallbeteiligung derjenigen, die mit 16 Jahren starteten, im Vergleich zu denen, die mit 17,5 Jahren starteten, um beachtliche 40 bis 42 Prozent reduziert!2

 

Deutschland profitierte von den Erfahrungen in Schweden. Bei uns blieb aber die Ausbildung in einer professionellen Fahrschule als Voraussetzung erhalten. Außerdem muss die Fahrerlaubnisprüfung bestanden sein, bevor die Begleitphase mit 17 Jahren beginnt. Beides ist dem DVR wichtig. Ausgehend von den schwedischen Studien würde aber ein Fahrerlaubniszugang im Rahmen eines BF16 zu einer weiteren deutlichen Reduktion an erheblichen Unfallbeteiligungen und an erheblichen Verkehrsverstößen um noch einmal etwa 20 Prozent führen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Vision Zero! Hinzu käme, dass die jungen Menschen ihre Fahrerlaubnisprüfung zu einem Zeitpunkt ablegen könnten, in der die meisten nicht durch vielfältige schulische Prüfungen belastet sind.

 

1Vgl. BASt – AP-Projekt F1100-4408016 „Evaluation Fahranfängermaßnahmen“ 2010
2Vgl. BASt – M218, 2011

 

Die Entscheidung, das Alter für das begleitete Fahren auf 16 Jahre zu senken, fällt in EU-Recht. Wie wahrscheinlich ist es, dass die EU dem zustimmt und Deutschland damit diese Änderung umsetzen kann?

 

Es ist richtig, dass nach der dritten EU-Führerscheinrichtlinie das Mindestalter für die Klasse B/BE bei 18 Jahren liegt und die Mitgliedstaaten das Mindestalter auf 17 Jahre herabsetzen können. Momentan liegt der EU-Kommission das Ansinnen Deutschlands vor. Die EU-Führerscheinrichtlinie müsste geändert werden, um BF16 einführen zu können. Das kann schnell gehen, mag aber auch dauern, weil angesichts der sehr unterschiedlichen Wege zum Führerschein einige Mitgliedstaaten kein Interesse daran haben.

 

Welche Modelle für das BF16 werden derzeit auf EU-Ebene diskutiert und welches Modell ist für Sie am ehesten realistisch?

Diese Frage ist nicht ganz so einfach zu beantworten, da es sich um ein rein deutsches Modell handelt, also professionelle Fahrausbildung, abgeschlossene Fahrerlaubnisprüfung und dann anschließende Begleitphase. In anderen Ländern ist begleitetes Fahren Bestandteil der Fahrausbildung (Schweden ab 16 Jahren, Österreich etc.) vor der Fahrerlaubnisprüfung und beinhaltet damit die Laienausbildung. Einen Zugang zur Fahrerlaubnis über Laienausbildung lehnt der DVR ab. Die zwingende professionelle Ausbildung vor der Prüfung ist dem DVR sehr wichtig. Bisher ohne Festlegung (da diese von der EU abhängt) werden im DVR-Vorstandsausschuss Junge Kraftfahrer momentan mehrere Modelle diskutiert, die dieser Philosophie entsprechen:

 

a) Eins-zu-eins-Übertragung von BF17 auf BF16 (wenn die EU dies zulässt),

b) Einführung einer nationalen Fahrerlaubnisklasse (wenn möglich; wird geprüft),

c) Beginn der Ausbildung bereits mit 16 Jahren, Fahrerlaubnisprüfung mit dem 17. Lebensjahr, dann Begleitphase (damit könnte erreicht werden, dass noch mehr junge Menschen die gesamte Begleitphase von 12 Monaten nutzen).

 

Welche Lehrmaßnahmen bzw. didaktischen Programme erachten Sie im Zuge des BF16 für besonders wichtig?

 

Aus unserer Sicht und Erkenntnis sind keine besonderen Lehrmaßnahmen oder didaktische Programme für BF16 notwendig, die über die heutigen Maßnahmen beim BF17 hinausgehen. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass wir generell über eine Veränderung der Fahrausbildung bzw. der Fahrschüler-Ausbildungsordnung nachdenken. So muss aus Sicht des DVR der automatische Einschluss der Klasse AM in die Klasse B ohne Ausbildung/Prüfung überdacht werden.

 

Gäbe es – im Sinne einer höheren Verkehrssicherheit – nicht auch die Möglichkeit, statt BF16 die Probezeit nach dem BF17 z. B. von zwei auf drei Jahre zu verlängern? Was spricht dafür bzw. dagegen?

 

Das ist ein ganz anderer Ansatz, um die Verkehrssicherheit jüngerer Menschen noch weiter zu erhöhen. Und er ist gelöst von BF16, BF17 oder dem klassischen Fahrerlaubniserwerb mit 18 zu betrachten. Von der bei der BASt angesiedelten Projektgruppe „Hochrisikophase Fahranfänger“ wird eine dreijährige Probezeit empfohlen, die durch Teilnahme an BF17 oder anderen Maßnahmen verkürzt werden könnte. Der DVR hofft sehr, dass dieses Optionsmodell sehr bald in die Praxis überführt wird. Es würde BF17 oder BF16 ideal ergänzen.

 

Zahlreiche Fahrlehrer/-innen sind der Auffassung, BF16 würde der Verkehrssicherheit junger Menschen und damit auch der allgemeinen Verkehrssicherheit wenig bis gar nicht dienen. Als Argument der Fahrlehrerbranche gegen BF16 wird beispielsweise angeführt, dass Sechzehnjährige oft noch in der Pubertät stecken und zugleich mit hohen schulischen Anforderungen belastet sind. Wie sehen Sie das?

 

Die Pubertät ist ein Zeitabschnitt in der Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen. In der Regel findet sie bei Mädchen bis zum 14. Lebensjahr, bei Jungen bis zum 16. Lebensjahr statt. Körperwachstum und letzte körperliche Veränderungen dauern dann noch bis Anfang 20. Die Pubertät ist aber kein Kriterium für eine sichere oder unsichere Verkehrsteilnahme. Wie wir mit den gerade veröffentlichten Ergebnissen der Langzeitstudie LAWIDA in Kooperation mit der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster aufzeigen konnten, wird risikoreiches Verhalten im Straßenverkehr dadurch beeinflusst, welche Entwicklungsaufgaben die jungen Menschen bereits erledigt haben oder nicht. Das Alter ist ein nachrangiger Faktor. Momentan gehen wir sogar davon aus, dass die jungen Menschen, die durch die Lockdowns aufgrund von Corona ihre Entwicklungsaufgaben nicht erledigt haben, mehr Probleme haben werden als die Generation vor ihnen oder nach ihnen. BF16 würde außerdem zu einem Zeitpunkt ansetzen, bei dem zwei Drittel der Betroffenen gerade die wichtigsten Prüfungen in der 10. Klasse hinter sich haben und der lange vor dem Abitur liegt. Und: AM15 hat gezeigt, dass junge Menschen durchaus anspruchsvolle Ausbildungen durchlaufen können.

 

Zwei Jahre Begleitzeit würde in vielen Fällen zu einem Nachlassen des Interesses der Fahranfänger/-innen und der Begleiter/-innen, ja einer Ermüdung der Anstrengungen und Aufmerksamkeit führen, heißt es zudem aus der Fahrschulbranche. Lethargie würde das Ziel des begleiteten Fahrens durchkreuzen. Überdies entstünde während dieser langen Begleitzeit vermehrt die Versuchung ohne Begleitung zu fahren. Wie stehen Sie zu dieser Ansicht?

 

Dies muss ich ausdrücklich verneinen. Unser Problem sind nicht lange Begleitzeiten – im Gegenteil: Unser Problem ist, dass nach bestandener Fahrerlaubnisprüfung die verbleibende Begleitzeit viel zu kurz ist, da die Prüfung erst lange nach dem 17. Geburtstag abgelegt wird. In den jüngsten Erhebungen lag sie deutlich unter sechs Monaten. Die Teilnehmenden und Begleitenden an BF17 melden klar zurück, dass sie diese Zeit nicht missen wollen und sie ihnen eher zu kurz war.

 

Auch gibt es in der Branche Bedenken, wonach BF16 die Forderung gewisser Kreise, das Mindestalter für den Erwerb der Fahrerlaubnis Klasse B auf das vollendete 17. Lebensjahr herabzusetzen, erheblich beflügeln würde. Und dies wäre in Anbetracht der noch immer hohen Unfallgefahr, die von Fahranfängern ausgeht, nicht zu verantworten, heißt es. Wie beurteilen Sie diese Befürchtung?

 

Ich muss gestehen, dass mir eine derartige Forderung nicht bekannt ist. Auch im Koalitionsvertrag oder anderen Aussagen kann ich sie nicht erkennen. BF17 als tolles Erfolgsmodell hat gezeigt, welches Sicherheitspotenzial damit verbunden ist, und dieses durch BF16 noch weiter auszubauen, ist das erklärte Ziel im Sinne der Sicherheitsstrategie Vision Zero.

 

Die Fahrschulbranche hat ernste Nachwuchssorgen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund befürchten Fahrschulen, dass eine durch BF16 temporär zusätzlich ausgelöste Nachfrage für Leistungen von Fahrschulen den Rahmen des Möglichen sprengt. Können Sie diese Ängste teilen bzw. haben Sie eine Idee, wie diese Herausforderung zu bewältigen ist?

 

Die Nachwuchsprobleme im Bereich der Fahrlehrerschaft sind mir bewusst. Wie dies zu lösen ist, müssen wir an geeigneter Stelle diskutieren. Dies hat aber nichts mit BF16 zu tun, sondern ist ein generelles Problem. Den Fachkräftemangel spüren wir in vielen Bereichen. Wir müssen darüber sprechen, wie der Beruf der Fahrlehrerin bzw. des Fahrlehrers attraktiver wird. Es ist ein sehr verantwortungsvoller und vor allem ein bildungspolitisch bedeutender Beruf. Ich kenne die Fahrlehrerschaft. Sie hat aus meiner Sicht nicht nur Probleme benannt, sondern kreativ Lösungen gefunden. Und generell ist der Drang junger Menschen zum Führerschein deutlich rückläufig, sodass sich nach der Pandemie ohnehin eine sinkende Nachfrage ergeben wird.

 

Was kann Deutschland in Sachen Führerscheinerwerb von anderen Ländern lernen? Andersherum: Traut Deutschland der Jugend zu wenig zu?

 

Wir haben von Schweden, wie eingangs erwähnt, viel gelernt. Aber Deutschland ist mit BF17 schon einen Schritt weiter: Wir erlauben die Fahrerlaubnisprüfung mit 17 Jahren und haben dann die Begleitphase. Ich denke, Deutschland traut seinen jungen Menschen mehr zu als andere, und BF17 gibt diesem Vertrauen Recht. Wir können Vertrauen in unsere Jugend haben und wir haben noch viel Potenzial, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

 

Könnte das BF16 nicht auch ein Weg sein, um Jugendliche wieder verstärkt für das Thema individuelle Mobilität zu begeistern?

 

BF16 könnte ein Katalysator dafür sein, das Thema Sichere Mobilität in der Sekundarstufe I und II aufzuwerten. Unabhängig hiervon werden aber voraussichtlich auch in den nächsten Jahren im Mobilitätsmix der jüngeren Menschen Fahrrad, Pedelec, E-Scooter usw. sowie der ÖPNV weiterhin zunehmen und der Drang zum Führerschein abnehmen.


Vielseitige und interessante Informationen für Teilnehmende und Begleitende bei BF17 finden sich unter

www.bf17.de

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