15.08.2020

(2479) Verwertungsverbot überlagert Tattagprinzip

Der Fall   Ein Kläger wandte sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 StVG). Mit der Begehung einer weiteren rechtskräftig geahndeten Verkehrsordnungswidrigkeit am 19. Juli 2015 hatte er einen Stand von 8 Punkten im Fahreignungsregister erreicht. Bei einem solchen Punktestand gilt der Betroffene gemäß § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Daraufhin entzog ihm die beklagte Behörde mit Bescheid vom 24. November 2016 die Fahrerlaubnis.

Erste Instanz   Das Verwaltungsgericht München wies die Klage ab. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei nicht deshalb rechtswidrig, weil Eintragungen von mit insgesamt vier Punkten zu bewertenden Ordnungswidrigkeiten zum Zeitpunkt der Erlassung des Entziehungsbescheides bereits zu löschen gewesen seien. Nach § 4 Absatz 5 Satz 5 StVG sei für den Punktestand auf den maßgeblichen Tattag abzustellen; das sei hier der 19. Juli 2015. Zu diesem Zeitpunkt seien diese Eintragungen noch nicht zu tilgen gewesen.

Zweite Instanz   Auf die Berufung des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis geändert und den Bescheid insoweit aufgehoben. Die Beklagte habe beim Erlass des Bescheides Ordnungswidrigkeiten berücksichtigt, die dem Kläger gemäß § 29 Absatz 7 Satz 1 StVG zu diesem Zeitpunkt wegen ihrer Löschung nicht mehr zur Beurteilung seiner Fahreignung hätten vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen.

Dritte Instanz   Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte das Berufungsurteil. Das Verwertungsverbot des § 29 Absatz 7 Satz 1 StVG greift auch bei Eintragungen zu punktebewehrten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, die im Fahreignungsregister zwar nicht bis zu dem nach § 4 Absatz 5 Satz 5 StVG maßgeblichen Tattag, aber vor dem Ergreifen der nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem vorgesehenen Maßnahme zu löschen sind. Nach § 29 Absatz 7 Satz 1 StVG hat die Löschung einer Eintragung, die gemäß § 29 Absatz 6 Satz 2 StVG nach Ablauf der Überliegefrist von einem Jahr nach Eintritt der Tilgungsreife erfolgt, ein absolutes Verwertungsverbot zur Folge. Dieses Verwertungsverbot überlagert und begrenzt das für die Berechnung des Punktestandes nach § 4 Absatz 5 Satz 5 bis 7 StVG maßgebliche Tattagprinzip. Die entsprechenden Punkte müssen daher unberücksichtigt bleiben.

Bundesverwaltungsgericht
- Urteil vom 18.06.2020 -
Az. 3 C 14.19