15.07.2016

(2369) Motorradunfall bei der Ausbildung - Sorgfaltspflichten des Fahrlehrers

Zum Hergang

Ein 44-jähriger Fahrschüler war mit dem Motorrad auf Überlandfahrt, als sich während der dritten Doppelstunde ein Unfall ereignete. Der noch ungeübte Fahrschüler gab beim Anfahren vor einem Kreisverkehr zu viel Gas, kuppelte zu schnell ein, verlor die Kontrolle über das Motorrad und fuhr über die Mittelinsel auf die Fahrbahn des Gegenverkehrs. Dort stieß er mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen, wobei er schwere Verletzungen erlitt. Der Fahrschüler verklagte den Fahrlehrer auf Zahlung von Schmerzensgeld und Verdienstausfall. Seine Klage begründete er mit schuldhafter Verletzung des Ausbildungsvertrags durch Vernachlässigung der Obhut- und Schutzpflichten. Am Unfalltag (dritte Doppelstunde) fuhr der Fahrschüler das erste Mal auf einem Motorrad mit 53 kW (72 PS), während er die Fahrstunden zuvor auf einem Motorrad gleichen Bautyps absolviert hatte, das auf 25 kW (34 PS) gedrosselt war. Bei der zweiten Doppelstunde war dem Fahrschüler ein ähnlicher Fehler unterlaufen, der zwar folgenlos blieb, die Parteien aber veranlasste, jene Fahrstunde abzubrechen.

Die Entscheidung

Die Klage des Fahrschülers hatte Erfolg. Nach Urteil des Gerichts haftet der beklagte Fahrlehrer gemäß §§ 280, 611 und 253 BGB auf Schmerzensgeld und Schadensersatz, da er schuldhaft die Obhut- und Schutzpflichten des Ausbildungsvertrags verletzt hat und diese Pflichtwidrigkeit ursächlich für den Unfall des Klägers geworden ist. Beim Motorradfahrunterricht hat der Fahrlehrer angesichts seiner verminderten Einwirkungsmöglichkeiten auf den Fahrschüler in besonderem Maß darauf zu achten, dass der Fahrschüler an anspruchsvollere Aufgaben des Fahrunterrichts erst dann herangeführt wird, wenn er bei den Grundübungen Sicherheit erlangt hat. Kommt es zu krisenhaften Situationen ("Beinaheunfall"), muss der Fahrunterricht nötigenfalls einen Schritt zurückgehen (amtlicher Leitsatz). Grundsätzlich muss der Fahrlehrer, wie vorliegend im Ansatz auch geschehen, zunächst ausführlich das Anfahren und sodann das Fahren mit einer Maschine außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs oder in einem sogenannten "Schonraum" üben, bevor der Fahrschüler in den öffentlichen Straßenver- kehr geführt wird. Da die Eingriffsmöglichkeiten des Fahrlehrers im Rahmen der Motorradausbildung vergleichsweise begrenzt sind, hat dieser die Pflicht, den Motorradschüler nur mit ausreichender Vorbereitung in den öffentlichen Verkehr zu schicken und darf den Schwierigkeitsgrad der Ausbildung nur sehr behutsam steigern. Der Fahrlehrer hat darauf zu achten, dass der Fahrschüler das Motorrad ausreichend beherrscht. Kriterium für das Maß der Überwachungspflichten ist der jeweilige Ausbildungsstand.

OLG Schleswig, Urteil vom 11.03.2016 (Az. 17 U 112/14)

Anmerkungen der Redaktion

Auch aus früher ergangenen obergerichtlichen Entscheidungen ergeben sich Leitsätze zu den Schutzpflichten des Fahrlehrers gegenüber dem Fahrschüler:

  • Der Fahrlehrer muss darauf achten, dass keine Überforderung des Schülers vorliegt (OLG Hamm, NJW-RR 2004, Seite 1095).
  • Der Fahrlehrer darf einen Motorradfahrschüler erst nach ausreichender Vorbereitung auf Fahrsituationen, wie sie sich dem Motorradfahrer auf öffentlichen Straßen stellen, am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen lassen.
  • Der Fahrlehrer darf dem Fahrschüler keine Aufgaben stellen, die dieser nicht oder noch nicht meistern  kann, weil sie seinem Ausbildungsstand und seinen Fähigkeiten nicht oder noch nicht entsprechen (OLG Rostock, DAR 2005, Seite 32 f.).
  • An die Einhaltung der Pflichten des Fahrlehrers ist zum Schutz der Fahrschüler ein strenger Maßstab anzulegen (BGH NJW 1969, Seite 2197).
  • Der Fahrunterricht und dessen Inhalte sind zu dokumentieren. Unterbleibt eine Dokumentation oder ist sie in erheblichem Maße unvollständig, wird eine schuldhafte Verletzung der Ausbildungspflichten vermutet (amtlicher Leitsatz).

Quelle: www.rechtsindex.de