15.11.2018

(2432) Richtungsweisendes Urteil - Rennradfahrer: Kein Schadenersatz und Schmerzensgeld nach Zusammenstoß mit Kind

Der Fall Am 17. Mai 2017 befuhr Kevin Rasch (Name geändert, Red.) mit seinem Rennrad mit mindestens Tempo 25 km/h die Walldorfer Straße auf der Höhe des ,,Racket Centers" in Nußloch. Die Straße dient dem Zufahrtsverkehr des ,,Racket Centers" und auf ihr sind üblicherweise auch Fußgänger in Richtung Nußloch unterwegs. Zum selben Zeitpunkt ging Sofia Kluge (Name geändert, Red.) mit ihrer dreieinhalbjährigen Tochter in der Nähe der Zufahrt zum ,,Racket Center" auf der Straße spazieren. Die Tochter befuhr dabei die Straße mit einem Laufrad, das sie seit etwa eineinhalb Jahren benutzt. Als sich der Kläger der Personengruppe näherte, klingelte er mehrfach, worauf sich die Gruppe an den rechten Fahrbahnrand bewegte und Frau Kluge ihrer Tochter, die - für Kevin Rasch erkennbar - mit ihrem Laufrad weiterhin mittig die Straße befuhr, zurief: ,,Zur Seite, sofort". Daraufhin fuhr das Mädchen, dem sich der Kläger inzwischen bis auf wenige Meter genähert hatte, mit seinem Laufrad in Richtung des linken Fahrbahnrandes. Der Kläger fuhr daraufhin links an dem Kleinkind vorbei auf den Grünstreifen des linken Fahrbahnrandes und stürzte. Infolge des Sturzes wurde Kevins Rennrad beschädigt und er erlitt eine Fraktur am kleinen Finger der rechten Hand und eine Ellenbogenprellung links.

Kevin verlangt Schadenersatz und Schmerzensgeld Kevin verlangte von der Beklagten unter anderem Ersatz der Reparaturkosten für das Rennrad sowie ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von mindestens 1.500 Euro. Der Kläger trug vor, dass er bei seiner Annäherung an die Gruppe davon ausgehen durfte, dass die Mutter das Kind zu sich nach rechts rufen werde und er daher gefahrlos links an der Gruppe hätte vorbeifahren können. Dass die Mutter das Kind nicht zu sich rufen und es daher an die linke Fahrbahnseite fahren werde, liege außerhalb jeder Lebenserfahrung.

Das Urteil Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Landgericht Heidelberg verwies in seiner Entscheidung darauf, dass es bereits an der Aufsichtspflichtverletzung der beklagten Mutter fehle. Das Fahrenlassen ihrer Tochter auf einem Laufrad auf der von motorisiertem Verkehr nur wenig genutzten und optisch eher einem gut ausgebauten Feldweg gleichenden Walldorfer Straße sei dem Alter und dem Können des Kindes angemessen gewesen. Die Beklagte habe durch ihren Zuruf kontrollierend auf ihre Tochter eingewirkt und sie dazu bewegt, eine Passage für den sich nähernden Kläger freizumachen, wie es von Fußgängern im Kontakt mit Radfahrern erwartet werden könne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die dreijährige Tochter angesichts ihres Alters noch nicht zwischen rechts und links unterscheiden könne und ein derartiger Zuruf somit ausgeschieden sei. Im Übrigen würde eine Haftung der Beklagten hinter dem weit überwiegenden Mitverschulden des Klägers zurücktreten. Im Straßenverkehr gelte das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Komme es zu einem Zusammentreffen von Radfahrern und Fußgängern, müsse der Radfahrer insbesondere auch mit Unaufmerksamkeiten oder Schreckreaktionen der Fußgänger rechnen und seine Fahrweise entsprechend anpassen.

Sorgfaltsanforderung Nochmals erhöht seien die Sorgfaltsanforderungen schließlich gegenüber Kindern oder sonstigen hilfsbedürftigen Menschen. Diesen Sorgfaltsanforderungen sei der Kläger in besonderem Maße nicht nachgekommen. Er habe sich grob verkehrswidrig verhalten. Trotz der für ihn von Weitem erkennbaren Gefahrensituation, die infolge der Beteiligung eines Kleinkindes, seiner über dem üblichen Durchschnittsmaß liegenden Radfahrgeschwindigkeit und dem zunächst unbemerkten Nähern der Gruppe von hinten ein stark erhöhtes Maß an Sorgfalt und Rücksichtnahme erfordert habe, habe er seine Geschwindigkeit lediglich von etwa 30 km/h auf 25 km/h reduziert. Auf diese Weise habe er auf die dann tatsächlich eingetretene Gefahrensituation nicht mehr durch rechtzeitiges sicheres Bremsen reagieren können. Die Haftung der Mutter eines Kleinkindes tritt hinter weit überwiegendes Mitverschulden des Radfahrers aufgrund deutlich zu hoher Geschwindigkeit zurück.

Landgericht Heidelberg
- Urteil vom 21.06.2018 -
Az. 3 O 80/18

PS.: Maßgebliche Rechtsgrundlage für dieses Urteil war § 832 BGB Absatz 1:

,,Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde."