15.12.2018

(2433) 70-km/h-Zone - Fußgänger haften für Unfall bei unvorsichtigem Betreten der Fahrbahn

 

Der Fall Der 76 Jahre alte Kläger und die 63 Jahre alte Klägerin überquerten im Januar unmittelbar hintereinander gegen 17 Uhr als dunkel gekleidete Fußgänger - lediglich die Klägerin trug eine beigefarbige Hose - die für Pkw auf 70 km/h begrenzte Elberfelder Straße in Witten. Sie wurden von dem im Rechtsstreit verklagten Fahrer eines Pkw Opel erfasst und schwer verletzt. Die im Rechtsstreit durchgeführte Beweisaufnahme ergab, dass der Pkw-Fahrer entweder 81 km/h gefahren oder zu spät auf die Fußgänger reagiert hatte. Durch den Zusammenstoß hatten die Kläger gravierende Verletzungen davongetragen. Beide Kläger erlitten u.a. lebensgefährliche Kopf- und Lungenverletzungen. Die Verletzungen sind bis heute nicht folgenlos verheilt. Die Kläger mussten längere Zeit stationär behandelt werden und sind bereits mehrfach operiert worden. Ihre ärztlichen Behandlungen dauern an.

Kläger verlangen Schadensersatz und Schmerzensgeld   Vom beklagten Pkw-Fahrer und dem Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs verlangten die Kläger Ersatz ihrer Sachschäden und immateriellen Schäden nach einer Haftungsquote von 2/3 zulasten der Beklagten. Unter Berücksichtigung dieser Quote machen sie u.a. ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro für den Kläger und von 60.000 Euro für die Klägerin geltend.

Urteil der 1. Instanz Das Landgericht Bochum wies die Klage ab und verwies auf eine einfache Betriebsgefahr auf Seiten des Beklagten, die hinter den groben Verstoß der Kläger gegen die Vorschrift des § 25 Absatz 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zurücktrete.

Berufung Gegen dieses Urteil zogen die Kläger vor das OLG und waren teilweise erfolgreich. Nach ergänzender Beweisaufnahme entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass die Haftung im Verhältnis von 1/3 zulasten des Pkw-Fahrers und von 2/3 zulasten der Kläger zu verteilen sei. Ausgehend hiervon erließ das Gericht ein Grund- und Teil-Endurteil und wies das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück, damit dort die Schadenshöhe geklärt werden kann.

Begründung Das Oberlandesgericht begründete seine Entscheidung so: Auf beiden Seiten sei schuldhaftes Verhalten zu berücksichtigen. Die Parteien hätten im Verhältnis der genannten Quote für die bei dem Verkehrsunfall entstandenen Schäden zu haften. Das folge aus einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge, wobei auf beiden Seiten ein schuldhaftes Verhalten zu berücksichtigen sei. Den Klägern sei ein gravierender unfallursächlicher Verstoß gegen § 25 Absatz 3 StVO anzulasten. Sie hätten das Beklagtenfahrzeug wahrnehmen müssen und passieren lassen müssen, bevor sie die Fahrbahnbegrenzungslinie überschritten hätten. Auch den Pkw-Fahrer treffe ein Verschulden. Er habe entweder die am Unfallort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 11 km/h überschritten oder die Fußgänger zu spät bemerkt oder zu spät auf diese reagiert. Nach den mit Hilfe eines Sachverständigen getroffenen Feststellungen zum Unfallhergang wäre der Unfall für den Pkw-Fahrer zwar nicht gänzlich vermeidbar gewesen, wenn er die erlaubten 70 km/h eingehalten hätte. Es wäre dann aber - bei der gebotenen sofortigen Reaktion auf das Erreichen bzw. Überschreiten der Fahrbahnbegrenzungslinie durch die beiden Kläger - zu einer deutlich weniger schweren Kollision mit ca. 25 km/h anstatt der tatsächlichen Kollision mit mindestens 60 km/h gekommen. Zudem wäre der etwas vorangehende Kläger nur streifend erfasst worden. Die beiden alternativ anzunehmenden, sich unfallursächlich auswirkenden Verkehrsverstöße des Pkw-Fahrers - entweder zu schnell gefahren oder zu spät reagiert - hätten ein gleichwertiges Gewicht und rechtfertigten die Haftungsquote von 1/3 zulasten des Pkw-Fahrers. Der schwerwiegende Verkehrsverstoß der Kläger, ohne den der Unfall zudem gänzlich vermieden worden wäre, wiege deutlich schwerer und rechtfertige eine Quote von 2/3 zu ihren Lasten.

Oberlandesgericht Hamm
- Urteil vom 10.04.2018 -
Az. 9 U 131/16