15.11.2020

(2489) Rechtmäßiges Radfahrverbot

Der Fall   Ein in Landau wohnhafter Radfahrer wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 13. Juli 2018 wegen einer Trunkenheitsfahrt im öffentlichen Straßenverkehr verurteilt. Zeugen hatten der Polizei gemeldet, dass er am 27. Mai 2018 um 20.00 Uhr in Landau mit dem Fahrrad in auffälliger Weise gefahren sei. Beim Eintreffen der Polizei schob der Kläger das Fahrrad. Ein freiwilliger Atemalkoholtest lag bei 1,73 Promille. Der Kläger willigte in eine Blutprobe ein und gab an, drei bis vier Weinschorlen getrunken zu haben. Nach den Feststellungen des Arztes stand er unter sehr starker Beeinflussung durch Alkohol. Die Blutprobe von 22.03 Uhr ergab eine Blutalkoholkonzentration in Höhe von 2,21 Promille.

Behördliches Fahrverbot   Nachdem die Stadt Landau von der Verurteilung erfahren hatte, forderte sie den Kläger im Oktober 2018 auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Frage seiner Fahreignung vorzulegen. Da der Kläger das Gutachten in der Folgezeit nicht beibrachte, untersagte ihm die Stadt mit Bescheiden vom 10. Januar 2019 und 12. November 2019 die Nutzung aller fahrerlaubnisfreien Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr. Dagegen legte der Radfahrer Widerspruch ein, den der Stadtrechtsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2019 zurückwies.

Die Klage   Dagegen erhob der Radfahrer im Januar 2020 Klage vor dem Verwaltungsgericht und machte geltend, die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass er erstmalig mit dem Fahrrad im Straßenverkehr auffällig geworden sei. Die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens habe er sich aufgrund finanzieller Probleme nicht leisten können. Als Kind habe er den Radsport ,,professionell" betrieben, habe aber im Alter von zwölf Jahren einen Unfall erlitten und sich dabei einen Schädelbasisbruch mit bleibenden Gehirnschäden zugezogen. Aufgrund der Behinderung habe er keine Berufsausbildung machen können und sei auf die Nutzung eines Fahrrades für Außenkontakte, Arztbesuche und zur Versorgung seiner Mutter existenziell angewiesen.

Das Urteil   Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße hat die Klage mit Urteil vom 12. August 2020 mit folgender Begründung abgewiesen: Das von der Beklagten gegenüber dem Kläger ausgesprochene Verbot, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge aller Art (also insbesondere auch ein Fahrrad) im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, sei rechtmäßig. Nach den einschlägigen Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung sei von der Fahrerlaubnisbehörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzufordern, wenn mit einer BAK von 1,6 Promille oder mehr ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt worden sei. Lege der Betroffene das angeforderte Gutachten nicht oder nicht fristgerecht vor, dürfe die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung zum Führen von Fahrzeugen schließen und die daraus folgenden gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen ergreifen.

Die Anordnung des Gutachtens war rechtmäßig   Die Anordnung der Stadt, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, sei rechtmäßig ergangen. Der Kläger habe am 27. Mai 2018 ein Fahrzeug (ein Fahrrad) im öffentlichen Straßenverkehr geführt mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille. Dieser Sachverhalt ergebe sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl vom 13. September 2018, dessen Inhalt der Kläger gegen sich gelten lassen müsse. Es sei in der Rechtsprechung geklärt, dass die Teilnahme mit einem Fahrrad am öffentlichen Straßenverkehr mit einer BAK von mehr als 1,6 Promille die Fahreignung insgesamt, also auch für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge, in Frage stelle, und die medizinisch-psychologische Untersuchung auch gegenüber Personen, die nicht über eine Fahrerlaubnis verfügten, ohne Rücksicht auf die Einzelfallumstände zulässig und insbesondere nicht unverhältnismäßig sei.

Fehlende finanzielle Mittel des Klägers unbeachtlich   Soweit der Kläger einwende, ein medizinisch-psychologisches Gutachten wegen fehlender finanzieller Mittel nicht beibringen zu können, sei dieser Umstand unbeachtlich. Auch der Umstand, dass der Kläger erstmals mit dem Fahrrad unter Alkoholeinfluss auffällig geworden sei, mache die Anordnung des Gutachtens nicht unverhältnismäßig. Schließlich könne der Umstand, dass der Kläger zur Bewältigung seines Alltags, zur Versorgung seiner Mutter und zur sozialen Teilhabe auf das Fahrrad angewiesen sei, das Fahrverbot für das Fahrrad nicht verhindern. Diesen beachtlichen Belangen des Klägers stehe das ebenfalls sehr hoch zu bewertende öffentliche Interesse an der allgemeinen Sicherheit des Straßenverkehrs für andere Verkehrsteilnehmer gegenüber. Die Gefahren, die von alkoholbedingt ungeeigneten Fahrradfahrern ausgingen, seien nicht unerheblich, sondern könnten auch zu schwerwiegenden Schadensereignissen führen. Auch unter Berücksichtigung der Grundrechte des Betroffenen, insbesondere der allgemeinen Handlungsfreiheit und einer Basismobilität durch die grundsätzlich voraussetzungslose Nutzung eines Fahrrads sei ein vollständiges Verbot dieses Fortbewegungsmittels rechtlich nicht zu beanstanden.

Verwaltungsgericht Neustadt
- Urteil vom 12.08.2020 -
Az. 1 K 48/20.NW.