30.12.2022© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Dezember 2022, Seite 742

Männer begehen deutlich mehr Verkehrsdelikte als Frauen: Eine Auswertung des Kraftfahrt-Bundesamtes

Es ist eine Binsenweisheit, dass Männer vom Mars, Frauen von der Venus sind und damit jeweils ziemlich anders ticken. So auch im Verkehr, wo vor allem Männer für Verkehrsdelikte verantwortlich sind. Wie sich das unterschiedliche Verhalten im Verkehrsalltag manifestiert, zeigt der nachfolgende Beitrag auf.

 

„Männer missachten Verkehrsregeln öfter als Frauen“: Das ist das jüngste Ergebnis einer Auswertung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) von entsprechenden Daten aus dem Jahr 2020, die das Goslar Institut jetzt thematisiert hat. Dabei basieren die KBA-Daten auf allen Personen, die im Berichtszeitraum am Straßenverkehr teilgenommen haben. Das zahlenmäßige Verhältnis von Männern und Frauen wird hier als nahezu gleich angegeben. Das Ergebnis der KBA-Auswertung zeigt, dass die Anzahl der registrierten Regelverstöße respektive Ordnungswidrigkeiten nicht nur alle Fahrerlaubnisklassen einbezieht, sondern auch alle Rad- und Rollerfahrer sowie Fußgänger. Der weibliche Anteil an allen Führerscheinen lag nach Angaben der Statistiker am 1. Januar 2021 bei 42,6 Prozent. Daraus ergibt sich, dass Männer bei Verkehrsverstößen deutlich in der Mehrheit sind. So beispielsweise bei Geschwindigkeitsverstößen: Hier sieht‘s im Verhältnis Männer zu Frauen mit 78 zu 22 Prozent für männliche Verkehrsteilnehmer recht ungünstig aus. Dieser Trend setzt sich bei anderen wesentlichen Verkehrsdelikten fort. So machen Männer nahezu 87 Prozent der Alkoholsünder aus, während es nur gute 13 Prozent bei den Frauen sind. Verstöße gegen die Vorschriften beim Überholen, Begegnen und Vorbeifahren gehen zu 88 Prozent auf das Konto der männlichen Beteiligten am Straßenverkehr gegenüber einem Frauenanteil von 12 Prozent. Auch beim Thema Sicherheitsabstand schneiden die Männer mit knapp 82 Prozent (18 Prozent bei Frauen) der Regelverstöße nicht eben vorbildlich ab. Bei den ebenfalls recht häufigen Handydelikten liegen die Männer mit knapp 74 Prozent ebenfalls klar vor den Frauen mit rund 26 Prozent. Bei der gleichfalls relativ hohen Zahl der Rotlichtverstöße haben die männlichen Verkehrsteilnehmer mit 68 zu 32 Prozent bei Frauen auch hier die Nase deutlich vorn.

 

Männer zeigen häufig aggressives Verhalten

Summa summarum ergibt sich aus den aktuellen Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes ein klares Übergewicht der Männer bei den Verkehrsverstößen in Deutschland; und diese sind vielfach Ursachen für Verkehrsunfälle. Sind Männer daher – meist entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung – also die schlechteren Autofahrer? Eine Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer (UDV) aus dem Jahr 2020 zur Aggressivität am Lenkrad beispielsweise kommt zu dem Ergebnis, dass Männer häufiger aggressives Verhalten als Frauen zeigten. Demnach versucht etwa jeder fünfte Mann am Steuer, jedoch nur jede zwanzigste Frau, sich mit Lichthupe oder Blinker freie Bahn zu verschaffen. Weitere psychologische Studien decken darüber hinaus auf, dass viele männliche Kraftfahrer meinen, die Straße sei ihr Territorium und sie dürften deshalb ihre Ansprüche durchsetzen. Nach Einschätzung der UDV nimmt die Aggressivität auf Deutschlands Straßen insgesamt zu, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese mit immer mehr Fahrzeugen belastet und dementsprechend verstopft sind. Und darauf scheinen Männer offensichtlich „unwilliger“ zu reagieren als Frauen – auch in Form von Regelverstößen.

 

Mobilitätsbildung bis zur 4. Klasse reicht nicht

Dass die verschiedenen Geschlechter jeweils anders „ticken“, zeigt sich bereits in der Jugend. So macht der Blick in die Unfallstatistik zunächst ganz allgemein deutlich, dass junge Menschen im Straßenverkehr einem sehr hohen Unfallrisiko ausgesetzt sind. Im Jahr 2021 wurden 351 junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren im Straßenverkehr getötet. Knapp 80 Prozent der Getöteten in dieser Altersgruppe waren männlich.

Doch wie lässt sich dieser Entwicklung entgegenwirken? Die Ergebnisse einer LAWIDA-Studie (Längsschnittliche Analysen der Wege in die Automobilität) mit dem Titel „Verkehrs- und fahrzeugbezogene Einstellungen von jungen Menschen im Übergang in die Automobilität“ (2022) – Herausgeber der Untersuchung, die u.a. in Zusammenarbeit mit der Deutschen Hochschule der Polizei entstanden ist, ist der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) – zeigen auf, dass die schulische Verkehrssicherheitsarbeit weiter als bis zur 4. Klasse gehen sollte.

Derzeit endet die Verkehrserziehung für Kinder in der 4. Klasse. Die Entwicklung ist dann jedoch noch nicht abgeschlossen. Kinder und Jugendliche müssen Entwicklungsaufgaben erledigen, z.B. soziale Interaktion und die Abnabelung vom Elternhaus. Dabei – das unterstreicht die LAWIDA-Studie – eignen sie sich auch wichtige mobilitätsbezogene Einstellungen und Werthaltungen an, die mit in ihre (Auto-) Mobilität übernommen werden. Wenn diese Entwicklungsaufgaben allerdings nicht optimal bewältigt werden, hat dies Auswirkung auf die Risikofreude im Straßenverkehr. Es gelte also, Jugendlichen den Weg zur sicheren motorisierten Verkehrsteilnahme besser zu ebnen.

Eine Möglichkeit dazu sehen die Studienautoren in schulischer Verkehrssicherheitsarbeit von der 5. bis zur 9. bzw. 10. Klasse etwa in Form von Soziale-Kompetenz- und Empathie-Trainings. Auf diese Weise können die überwiegend männlichen Jugendlichen, die den Einstieg in die Automobilität eher risikoreich angehen, vor dem Eintritt in den motorisierten Verkehr intensiv betreut werden. Sie bekommen Unterstützung, um die wichtige Risikokompetenz auf- und auszubauen.
Kurzum: Eine enge Begleitung Jugendlicher auf dem Weg in die Mobilität ist ein wichtiger und notwendiger Schritt für mehr Sicherheit im Verkehr und unterstützt somit die Fahrschulen bei der Heranführung ihrer Schüler an den praktischen Fahralltag.

 

Isabella Finsterwalder

Interview mit Prof. Dr. Rainer Banse

„Gerade Fahrschulen können zu mehr Rücksicht im Straßenverkehr beitragen“

Zahlen, Daten, Fakten schreiben männlichen Verkehrsteilnehmern großes Fehlverhalten im Straßenverkehr zu. Doch was steckt dahinter? Wie können sich Fahrschulen einbringen, um soziales Verhalten im Verkehr zur verstärken? FPX-Redakteurin Isabella Finsterwalder befragte dazu Prof. Dr. Rainer Banse.

 

FPX:   Das Thema Vision Zero steht seit Jahren ganz oben auf der Agenda der Verkehrssicherheitsexperten. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es aber nicht nur vernünftiger Vorschriften und Gesetze. Vielmehr ist ein rücksichtsvolles und vorausschauendes Verhalten des einzelnen Verkehrsteilnehmers notwendig. Was kann getan werden, um das Bewusstsein des Einzelnen für ein respektvolles und sicheres Verhalten im Straßenverkehr zu schärfen?

 

Prof. Banse:   Ganz entscheidend kommt es darauf an, die soziale Norm, sich rücksichtsvoll zu verhalten, auf allen Ebenen im Verkehr wieder zu stärken. Tatsächlich gewinnt man jedoch in jüngster Zeit den Eindruck, dass sich eine unsoziale Norm etabliert hat, wonach es in Ordnung ist, rücksichtslos die eigenen Interessen durchzusetzen. Das zeigt sich im Straßenverkehr beispielsweise durch vermehrte Übergriffe auf Rettungskräfte, Feuerwehrleute oder auch Polizisten.

Was kann also getan werden, um die soziale Norm zu stärken? Früher gab es die Fernsehsendung „Der 7. Sinn“. Darin wurde alles darangesetzt, prosoziale Normen und Verhalten zu verstärken. Das war vernünftig. So wurde hier aufgezeigt, wie ein guter Autofahrer ein Fehlverhalten anderer ausgleicht oder auch dass man auf andere Rücksicht nimmt und nicht einfach die eigenen Interessen durchsetzt. Ich bin überzeugt, dass auf diesem Gebiet wieder deutlich mehr getan werden muss als bisher und entsprechende Informations- und Aufklärungssendungen wieder eingeführt werden sollten.

So ist klar: Will man auf Menschen einwirken, sie aufklären und positiv beeinflussen, gibt es deutlich effektivere Maßnahmen als Strafen und das Heraufsetzen von Bußgeldern. Vielmehr sind Information und Bewusstseinsschaffung angesagt. Das hilft auch in anderen Fällen wie Vorgehen gegen Rassismus. Über gutes Verkehrsverhalten dagegen informiert heute kaum einer – zumindest nicht flächendeckend.

 

Die Fahrschulen respektive Fahrlehrer/-innen als Wegbereiter der Autofahrer/-innen von morgen spielen eine Schlüsselrolle bei der Verkehrssicherheit. Was können diese Ausbilder speziell tun, um junge Menschen in Richtung rücksichtsvolles Verhalten im Verkehr zu trainieren bzw. ihnen die Gefahren eines umgekehrten Verhaltens eindringlich vor Augen zu führen?

 

Gerade die Fahrschulen haben sehr viel Potenzial, um prosoziale Normen bei ihren Schüler/-innen zu verstärken. So bleiben bei jungen Leuten markante Sprüche von Fahrlehrern lange im Gedächtnis. Entsprechend könnten Fahrlehrer nachhaltig darauf einwirken, wie man sich im Straßenverkehr optimal verhält. So sollten junge Fahrer lernen, dass es cool ist, Fehler anderer zu antizipieren und auszugleichen, während es absolut uncool ist, in einer 30er-Zone 80 km/h zu fahren, was zudem auch nicht besonders clever ist. Kurzum: Fahrlehrer spielen eine zentrale Rolle in Bezug auf das Verhalten der künftigen Verkehrsteilnehmer. Das sollte genutzt werden, um über den theoretischen wie auch praktischen Unterricht hinaus auch auf den Fahrstil der Schüler/-innen einzuwirken und dadurch soziale Normen zu stärken.

 

Eine Auswertung des KBA hat jüngst aufgezeigt, dass Männer Verkehrsregeln öfter als Frauen missachten. Worauf führen Sie das zurück? Liegt das vielleicht daran, dass Männer heute nach wie vor häufiger auf der Straße unterwegs sind und möglicherweise angesichts einer hohen Verkehrsdichte gestresst sind? Oder liegt es in der „Natur der Sache“, also der weit verbreiteten Ansicht, der Mann als testosterongesteuertes, dominantes Wesen? Und wie können Fahrlehrer künftig noch stärker auf die Psychologie ihrer Fahrschüler/-innen eingehen und sie gezielter in der Ausbildung „abholen“?

 

Es ist richtig, dass viel mehr Männer als Frauen Verkehrsregeln verletzen – das gilt vor allem für Verstöße wie Geschwindigkeit, Abstand, gefährliches Überholen oder Alkohol. Hier sind Männer in der Regel um das 3- bis 5-Fache stärker als Frauen dabei. Gleichwohl bleibt die Frage offen, ob dieses Verhalten mit Testosteron und höherer Aggressivität zu tun hat. Ebenfalls nicht erwiesen ist, ob Stress bzw. gewachsener Stress auf der Straße eine große Rolle spielt. Wenn Stress die Ursache wäre, dann müssten ja auch viel mehr Frauen ein auffälliges Verhalten zeigen, denn diese sind nicht stressresistenter als Männer. Auch ist die Frage, ob aggressives Verhalten tatsächlich in den vergangenen Jahren zugenommen hat, aus empirischer Sicht nicht geklärt. Doch wie lauten nun tatsächlich die psychologischen Faktoren für dieses schwierige Verhalten?

 

Wir haben 2014 eine Studie mit 500 männlichen und weiblichen Fahranfängern abgeschlossen, deren Verkehrsdelikte wir über 6 Jahre verfolgt haben (vgl. auch: https://birvp.de/wp-content/uploads/2019/08/Abschlussbericht-2.pdf). Dabei haben wir verschiedene Risikofaktoren erfasst. Das Ergebnis: Persönlichkeitseigenschaften wie Aggressivität und Risikofreude waren keine Risikofaktoren, sondern vielmehr eine geringe Akzeptanz von Verkehrsregeln und niedriger Schulabschluss. Ein weiterer Grund ist eine „Überwertigkeit“ des Führerscheins, sprich, solche Personen haben viele Verkehrsdelikte begangen, die das Auto und das Fahren als Vervollständigung der eigenen problematischen Identität gesehen und sich stark über das Autofahren definiert haben. Das zeigt, dass ungünstiges Fahrverhalten sehr viel mit der eigenen Einstellung zu tun hat – und zwar zum Fahren selbst und zur Nicht-Akzeptanz von Verkehrsregeln. Anders ausgedrückt: Wenngleich rabiates Fahrverhalten aggressiv auf andere wirkt, so hat es im psychologischen Sinne weniger mit Aggressivität zu tun, als vielmehr mit einem rücksichtslosen, egoistischen und dissozialen, d. h. soziale Regeln missachtenden, Auftreten. Doch was kann man dagegen tun?

 

Fakt ist: Einstellungen bzw. Verhalten lassen sich besser beeinflussen als die Persönlichkeit. Daher sollten Medien und Fahrschulen künftig mehr denn je auf dieses ungute Verkehrsverhalten einwirken und verdeutlichen, dass eine derartige Haltung nicht nur unangebracht und gefährlich ist, sondern auch dem Fahrer selbst schadet. Zwar sind wir nicht naiv und wissen, dass gerade junge Männer oft beratungsresistent sind. Gleichwohl kann auf diese Gruppe eingewirkt werden.

 

Was nicht funktioniert, ist das Aufzeigen drastischer Unfälle, um über negative Konsequenzen auf dieses Verhalten einzuwirken. So wirken Angst bzw. das Einflößen von Angst bei männlichen Jugendlichen gar nicht, da gerade junge Männer risikofreudig sind und nicht über Angst zu erreichen sind. Über Einsicht zu gehen, ist dagegen ein vielversprechender Ansatz.

 

Lassen Sie uns bitte einen Blick in die Zukunft der Mobilität wagen: Wird der Trend zur E-Mobilität und damit die sich widersprechenden Ziele von Reichweite und Geschwindigkeit Ihres Erachtens auch den „Umgangston“ der Verkehrsteilnehmer verändern? Wie lautet Ihre Prognose?

 

Es ist zu beobachten, dass zahlreiche Premium-E-Autos brav mit 100 km/h auf der rechten Seite fahren, offenbar um Reichweite zu gewinnen. Dieser Trend könnte einen deutlichen Einfluss auf das Verkehrsgeschehen haben. Sprich, wenn durch die E-Mobilität bzw. bedingt durch die Batterieleistung der Fahrstil grundsätzlich defensiver wird, so kann auch das die Spitze der rücksichtslosen Autofahrer kappen und einen günstigen Einfluss auf das gesamte „Verkehrsklima“ haben.

 

Herr Prof. Banse, herzlichen Dank für das Gespräch!


Prof. Dr. Rainer Banse

Prof. Dr. Rainer Banse ist Professor für Sozial- und Rechtspsychologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie Leiter des Bonner Instituts für Rechts- und Verkehrspsychologie. Sein Hauptforschungsinteresse liegt bei der Entwicklung und Validierung indirekter Messverfahren in der Grundlagenforschung und in der Angewandten Psychologie. In der Rechtspsychologie sind seine Arbeitsschwerpunkte die Wirkung von Sanktionen und Behandlungsmaßnahmen, Prädiktoren von kriminellem Verhalten, Aussagepsychologie, die Qualität und Verbesserung rechtspsychologischer Sachverständigengutachten sowie die Diagnostik und Ätiologie der Pädophilie. Seit 2013 leitet Rainer Banse einen berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengang M.Sc. Rechtspsychologie an der Universität Bonn. Im Bereich der Verkehrspsychologie forscht und arbeitet Rainer Banse vor allem zur Diagnostik der Fahreignung und zur Evaluation von Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, sei es durch technische Innovationen (z. B. eine vordere Bremsleuchte) oder sei es durch primärpräventive Programme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. (Foto: privat)

 


Zum Inhalt der FahrSchulPraxis Ausgabe Dezember 2022...


Empfehlungen: